Hexentraum
mehreren Stellen war der Stoff von getrocknetem Blut getränkt, vor allem über ihren Rippen auf der rechten Seite. Was nicht mit Blut verklebt war, war mit Schmutz verkrustet. Ihre Augen glänzten wild unter strubbeligem, angesengtem Haar hervor. Die linke Seite ihres Gesichts war mit geronnenem Blut bedeckt.
Kein Wunder, dass der Kerl am Empfang so erschrocken dreingeblickt hat.
Wortlos trat Pablo zu ihnen, und alle drei betrachteten ihr ramponiertes Äußeres im Spiegel. Amanda schnürte es die Kehle zu. War's das? Sind wir alles, was von unserem Coven übrig ist? Sie verbot sich, in neue Tränen auszubrechen. Ihr Gesicht war schon mit genug Dreck verschmiert; sie brauchte ihn wirklich nicht obendrein nass zu machen, so dass er sich auch noch verteilte.
Im Spiegel sah sie, dass Pablo Tränen übers Gesicht liefen. Sie legte ihm einen Arm um die Schultern und konnte sich nun doch nicht mehr beherrschen. Tommy schlang einen Arm um sie. Einen Moment lang starrten die drei so in den Spiegel. Der Anblick war wie das Zerrbild eines Familienporträts. Ein Schaudern erfasste die kleine Gruppe, und dann brachen sie zusammen, sanken auf den Boden, umarmten sich und weinten gemeinsam.
Zwei
Hekate
Dornen bohren sich ins Fleisch
Halten die Wunden blutig und frisch
Wir zählen die Opfer von eins bis zehn
Und lassen alle von Neuem bluten
Wir beweinen unsere Toten
Mit Herzen schwer von Grauen
Göttin, schenkt uns Eure Macht
In unserer dunkelsten Stunde
Avalon: Nicole Anderson
Da wären wir wieder, dachte Nicole bitter, als sie sich im Schlafzimmer umschaute. In den vergangenen Tagen war so viel passiert, und doch war sie wieder hier, in James' Schlafzimmer, als wäre nichts geschehen. Zumindest befand sich das Schlafzimmer diesmal woanders. Sie wusste nicht genau, wo sie war, aber im Hauptquartier des Obersten Zirkels ganz sicher nicht.
Vor Frustration traten ihr Tränen in die Augen. Sie hatte ihre Schwester und ihren Vater wiedergesehen, ihre Cousine war einem besessenen Wahn verfallen, und sie selbst war mit Philippe vermählt worden. Philippe. Sie wusste nicht einmal, ob er noch lebte, geschweige denn, ob sie ihn je wiedersehen würde.
Miau!
Sie blickte auf Astarte hinab. Die Katze starrte aufmerksam zu ihr empor, peitschte mit dem Schwanz und schlang ihn um Nicoles linken Knöchel. Die Katze war ihr mit einem Satz in das Portal gefolgt, als James und Eli Nicole aus der Hütte bei Seattle entführt hatten. Sie hob die Katze hoch und schmiegte die Wange an ihr Fell.
»Als ich Seattle letztes Mal verlassen habe, musste ich meine Katze Hecate zurücklassen. Sie ist gestorben. Du bist jetzt meine süße Katze, und du sorgst dafür, dass ich dich nicht verlasse, nicht wahr?«
Die Katze schlug ihr sacht mit einer Pfote auf die Nase und schnurrte zufrieden. Nicole küsste sie auf den Kopf. Astarte war in Spanien zu ihr gekommen, irgendwo auf dem Land, als Nicole vor den Deveraux geflohen war. Philippe hatte sich um die Katze gekümmert, nachdem Eli und James Nicole zum ersten Mal entführt hatten.
Eli und James. Sie hatten sie durch das Portal gezerrt und waren mit ihr hier gelandet. Dann war Eli wortlos gegangen, und James hatte sie in sein Schlafzimmer gebracht und hier eingeschlossen. Diesmal hatte er die Tür nicht nur mit einem Schloss, sondern auch mit Bannen gesichert.
Der Türrahmen ist neu, stellte sie beiläufig fest. Es schien der gleiche zu sein, den sie bei ihrer ersten Flucht zerstört hatte. Oder James hat ihn durch Magie repariert...
Astarte wand sich in ihren Armen, und Nicole setzte sie auf den Boden, richtete sich matt wieder auf und hockte sich aufs Bett.
Sie musste doch irgendetwas tun können. Ich bin eine Hexe, verdammt noch mal. Ich sollte mir irgendwie selbst helfen können. Sie schloss die Augen und zwang sich, tief und langsam zu atmen.
»Göttin, höre mich weinen und flehen, schütze mich, lass mich nicht vergehen. Zum Mond erheb ich das Gesicht und bitte dich, erlöse mich.«
Die Worte erfüllten sie mit Kraft oder doch zumindest neuem Mut. Sie wandte sich um und öffnete das Geheimfach im Kopfteil des Bettes. Es war leer. James war zu schlau, als dass er seinen Ring und die anderen Sachen wieder da hineingelegt hätte, nachdem Nicole sie schon einmal aus diesem Versteck gestohlen hatte. Sie drehte sich um und entdeckte in der Ecke einen kleinen Tisch, der ihr nicht bekannt vorkam. Sie ging hinüber und zog die einzige Schublade heraus. Darin lagen ein paar Blatt Papier, ein
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