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Hexer-Edition 03: Das Haus am Ende der Zeit

Hexer-Edition 03: Das Haus am Ende der Zeit

Titel: Hexer-Edition 03: Das Haus am Ende der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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und furchtbaren Papageienschnäbeln, von denen Blut tropfte. Und Stimmen. Stimmen, die in einer Sprache redeten, die ich nicht verstand und die älter war als die menschliche Rasse, vielleicht älter als das Leben überhaupt. Und vielleicht war es auch gut, dass ich mich nie an Einzelheiten erinnern konnte. Vielleicht wäre mein Verstand endgültig zerbrochen, hätte ich mich genau erinnert. Es war schon so schlimm genug – die Bilder, die ich nicht vergessen hatte, waren verschleiert und blass, wie hinter Nebel oder treibendem dichtem Dunst verborgen: Landschaften, vielleicht auch Städte, vorwiegend in Schwarz und anderen, düsteren Farben, für die es in der menschlichen Sprache keine Worte gab, bizarr verdrehte und verzerrte Dinge, schwarze Seen aus Teer oder flüssigem Pech, an deren Ufer sich namenlose Scheußlichkeiten suhlten …
    Ich schüttelte die Bilder mühsam ab, trat ans Fenster und atmete tief ein. Es war kalt und die Luft roch nach Schnee und Salzwasser. Einen Moment lang blieb ich reglos am geöffneten Fenster stehen, atmete tief durch und genoss das Gefühl prickelnder Kälte, das sich in meiner Kehle ausbreitete. Es war angenehm, dicht an der Grenze zum Schmerz, aber die Kälte vertrieb – wenigstens für einige kurze Augenblicke – auch das dumpfe Gefühl aus meinem Schädel und ließ mich wieder klar denken. Fast eine Minute lang blieb ich reglos so stehen, atmete tief und bewusst durch und blickte auf die Straße hinab. Es war fast Mittag und die Straße war voller Menschen; Menschen, die geschäftig ihrer Wege gingen und die Dinge tun, die Menschen nun einmal tun, an einem ganz normalen Novembertag. Das Bild war von einer sonderbaren Friedfertigkeit; wären die dunklen Gewitterwolken nicht gewesen, die wie ein unregelmäßiger schwarzer Strich über dem Horizont im Osten brodelten und ab und zu ein leises, drohendes Grollen hören ließen, hätte man es fast idyllisch nennen können. Eine Zeit lang blickte ich schweigend auf die Straße hinab, dann trat ich zurück, schloss das Fenster und drehte mich zu Howard um.
    »Du hast mir nicht alles gesagt«, sagte ich.
    Howard ließ langsam seine Zeitung sinken, sah mich an und lächelte müde. Er wirkte erschöpft. Unter seinen Augen lagen tiefe, schwarz unterlaufene Ringe, und seine Finger zitterten fast unmerklich, als er die Zeitung zusammenfaltete. Im Gegensatz zu mir hatte er in der vorangegangenen Nacht kein Auge zugemacht. Rowlf und er wechselten sich darin ab, an meinem Bett Wache zu halten, und in dieser Nacht war er an der Reihe gewesen.
    Er gähnte, warf die Zeitung achtlos neben sich auf den Boden, stand auf und trat an den Kamin, um die Hände über die prasselnden Flammen zu halten. Er zitterte. Die Novemberkälte war ins Zimmer gekrochen, während das Fenster offen gestanden hatte. Ich spürte sie empfindlich durch das dünne Nachthemd hindurch. Für Howard, übermüdet und erschöpft, wie er war, musste sie doppelt unangenehm sein. Aber er machte keine Anstalten mir zu antworten.
    »Also?«, fragte ich ungeduldig. Meine Stimme zitterte ein wenig, aber ich war mir selbst nicht ganz sicher, ob es nun an der Kälte oder dem Zorn lag, den ich verspürte. Es war beileibe nicht das erste Mal, dass ich Howard oder auch Rowlf – je nachdem, wer von beiden gerade greifbar war – diese Frage stellte. Und natürlich würde er mir entweder gar nicht oder mit den üblichen Ausflüchten antworten.
    »Was – also?«, fragte Howard. Er seufzte, drehte sich herum und sah mich mit einer Mischung aus Mitleid und Sorge an, die mich rasend machte. Seit wir in Durness angekommen und ich das erste Mal aus meinen Fieberphantasien aufgewacht war, sah er mich mit diesem Blick an. Einem Blick, mit dem man ein krankes Kind oder einen Sterbenden bedachte. Aber ich war weder das eine noch das andere.
    Für einen Moment wurde mein Zorn übermächtig. Wütend hob ich die Hände, trat auf ihn zu und funkelte ihn an. »Spiel nicht den Dummen, Howard«, sagte ich. »Du weißt ganz genau, was ich meine. Seit wir aus London abgereist sind, weichst du mir aus oder tust so, als verstündest du mich nicht. Ich will endlich wissen, was hier gespielt wird.«
    Howard seufzte. »Du bist immer noch krank, Junge«, sagte er. »Warum wartest du nicht ab, bis …«
    Ich brachte ihn mit einer wütenden Handbewegung zum Verstummen. »Hör auf, Howard«, sagte ich. »Ich bin kein dummes Kind, mit dem du so reden kannst. Seit einer Woche liege ich in diesem Bett und tue nichts,

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