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Hexer-Edition 04: Tage des Wahnsinns

Hexer-Edition 04: Tage des Wahnsinns

Titel: Hexer-Edition 04: Tage des Wahnsinns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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er hatte Millionen Helfer, die den einen verlorenen ersetzen konnten.
    Mit einer lautlosen Bewegung stieß er seinen Titanenkörper vom Meeresgrund ab und begann sich zu entfernen, weg vom Land und hin zu den tieferen Gefilden des Ozeans, den schwarzen, lichtlosen Abgründen, die noch keines Menschen Auge gesehen hatte. Er würde wiederkommen. Vielleicht schon morgen, vielleicht erst in hundert Jahren. Seine Zeit war unbegrenzt. Aber er würde wiederkommen.
    Irgendwann.
     
    Es war fast Mittag, als wir das Haus verließen und uns auf den Weg machten. Es war nicht leicht gewesen, aus dem Dachboden herabzusteigen, und keiner von uns hatte noch die Kraft gehabt, sofort loszumarschieren. Selbst jetzt, nachdem ich fast zwei Stunden geruht und Miss Winden meine Wunden versorgt und verbunden hatte, fühlte ich mich zerschlagen und müde. Der Weg, der vor uns lag, kam mir endlos vor.
    Es war ein unwirklicher, erschreckender Anblick, der sich darbot, als wir das Haus verließen. Die Lichtung lag grau und tot vor uns, knöcheltief bedeckt mit feinkörnigem Staub, den das Wasser, das der Boden gespeichert hatte und jetzt langsam wieder freigab, allmählich in schmierigen braunen Matsch verwandelte, und der Wald dahinter sah aus, als wäre er niedergebrannt. Die Bäume waren kahl, so weit das Auge reichte. Die Stille des Todes hatte sich über dem Wald ausgebreitet.
    »Glauben Sie, dass … dass es wirklich tot ist?«, fragte McMudock leise. Die Worte galten Howard, nicht mir, aber ich wandte mich trotzdem zu ihm um, lächelte mit einer Zuversicht, die ich nur mit Mühe heucheln konnte, und nickte.
    »Es ist besiegt«, sagte ich. »Wäre es nicht so, dann wären wir jetzt alle tot, McMudock.«
    »Lon«, verbesserte er mich.
    »Lon.« Ich lächelte. »Ihr … geht zurück nach Durness?«
    Er schwieg einen Moment. Sein Blick glitt hinüber zu den beiden Männern, die als einzige von Brennans kleiner Streitmacht übrig geblieben waren. »Ja«, sagte er schließlich. »Wenn es noch steht.«
    »Warum kommen Sie … kommst du nicht mit?«, fragte ich. »Ich könnte einen Freund wie dich gebrauchen.«
    Lon lächelte verlegen. Einen Moment lang schien er ernsthaft über meinen Vorschlag nachzudenken, dann schüttelte er den Kopf, sah zu Boden und begann nervös an dem Gewehr herumzuspielen, das er in den Händen trug. »Mitkommen?«, wiederholte er. »Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee wäre, Robert. Ich gehöre hierher, nicht zu euch. Alles, was ich brauche, ist eine gute Kneipe und genug Bier, um das alles hier zu vergessen.« Plötzlich grinste er. »Das Leben mit euch wäre mir zu aufregend, weißt du? Aber vielleicht sehen wir uns ja irgendwann einmal wieder.«
    »Vielleicht«, sagte ich. Aber wir wussten beide, dass, wenn überhaupt, sehr viel Zeit bis dahin vergehen würde. Es tat mir Leid. Trotz allem hätten er und ich Freunde werden können, dessen war ich sicher.
    Ich wollte noch etwas sagen, aber Lon drehte sich plötzlich herum, gab seinen beiden Begleitern einen Wink und begann mit raschen Schritten auf den Waldrand zuzugehen, in entgegengesetzter Richtung zu der, die wir einschlagen würden, um nach Bettyhill zu gelangen.
    Ich sah ihm nach, bis er zwischen den kahlen Stämmen des Waldes verschwunden war. Ein dumpfes Gefühl des Verlustes begann sich in mir breit zu machen.
    Und plötzlich wusste ich, dass meine Gedanken falsch gewesen waren. Wir konnten keine Freunde sein. Selbst wenn wir wollten, nicht. Ich hatte ein Erbe mitbekommen, das ich nur allein tragen konnte, niemand sonst. Ich war ein Hexer.
    Und einem Hexer bringt niemand Freundschaft entgegen, sondern immer nur Abscheu. Plötzlich hatte ich das Bedürfnis zu schreien.
    Aber natürlich tat ich es nicht.

 

     
     
    Es war ein Anblick von einer morbiden Faszination, die es mir unmöglich machte, wegzusehen. Mein Ebenbild im Spiegel begann sich zu verändern, sich aufzulösen. Die Gesichtshaut wurde braun und rissig, zitterte wie ein welkes Blatt in einer scharfen Herbstbrise. Zuerst begriff ich gar nicht, was ich sah. In meiner zitternden Linken hielt ich noch immer den Rasierpinsel, in einer erstarrten, nur halb zu Ende geführten Bewegung. Mein Mund war zu einem stummen Schrei geöffnet. Hinter den Lippen sah ich schwarzbraune Zähne, die zusehends verfielen. Langsam, ganz langsam begann sich die welke Haut abzulösen, bis ich glaubte, den blanken Knochen darunter zu sehen. Mein Spiegelbild wurde zu einer Fratze, dann zu einem Totenschädel, meine

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