Hexer-Edition 05: Der Seelenfresser
Moment begann sich der Keller um mich herum zu drehen und ich musste mich an Howards Arm festhalten, um nicht erneut zu stürzen. Als ich die Hand hob und vorsichtig nach meiner Stirn tastete, fühlte ich eine mächtige Beule.
»Wie oft muss ich dir eigentlich noch sagen, dass du nicht versuchen sollst, mit dem Kopf durch die Wand zu rennen?«, fragte Howard in einem Anflug von Galgenhumor.
Ich schenkte ihm einen giftigen Blick, schob seine Hand beiseite und näherte mich – weitaus langsamer als beim ersten Mal – der Tür. Sie war wieder geschlossen und obwohl ich genau wusste, was ich dahinter zu erwarten hatte, ließ mich der Anblick für Sekunden den Atem anhalten und verblüfft auf die uralten, von Moder und Feuchtigkeit fleckig gewordenen Steine starren.
»Das ist doch nicht möglich!«, entfuhr es mir. »Verdammt, Howard, ich habe gesehen, wie er durch diese Tür gegangen ist.«
»Ich auch«, antwortete Howard düster.
Ungläubig tastete ich mit den Fingerspitzen über den morschen Stein. Ich rechnete fast damit, meine Fingerspitzen in seine Oberfläche eindringen zu sehen, aber er war massiv; natürlich, massiv und undurchdringlich. Der pochende Schmerz in meiner Schläfe wäre nicht nötig gewesen, mich davon zu überzeugen.
»Diese Wand muss schon ziemlich lange hier stehen«, sagte Howard. »Sieh dir den Moder an – er ist zum Teil mit dem Türrahmen verwachsen. So etwas dauert Jahre!«
»Aber welcher Trottel würde einen Türrahmen vor eine massive Mauer bauen?«
Howard zuckte mit den Achseln. »Vielleicht hat sie jemand zugemauert. Aber wenn, dann vor ziemlich langer Zeit. Und jetzt frag mich bloß nicht«, fuhr er mit leicht erhobener Stimme fort, »wie dieser Bursche durch die Wand gekommen ist. Ich weiß es so wenig wie du. Was mich viel mehr interessiert, ist die Frage, wer er war.« Er blickte mich scharf an. »Hast du ihn je zuvor gesehen?«
Ich verneinte. Von seinem Gesicht war nicht viel zu erkennen gewesen, aber ich wusste zumindest, dass ich jemanden wie ihn noch nie zuvor gesehen hatte. Allein die Schnelligkeit, mit der er sich bewegte, hatte etwas Übernatürliches gehabt.
»Noch nie«, antwortete ich. »Ich weiß weder, wer er war, noch was er wollte.«
Howard lachte rau. »Uns umbringen, was sonst?«
»Glaubst du? Er hatte mehr als eine Gelegenheit, uns beide zu töten. Er hat es nicht gewollt.«
Howard blickte mich einen Moment zweifelnd an. Dann hob er die Hand und tastete nachdenklich über seine Schläfe, dort, wo ihn die Klinge des Angreifers getroffen hatte. Mit der Breitseite getroffen hatte. Der Hieb hätte ihm auch den Schädel spalten können.
»Du hast Recht«, murmelte er. »Als du von … der Treppe gestürzt bist, hat er dich sogar gerettet. Aber was wollte er dann?«
Ich zuckte mit den Achseln. »Vielleicht stehlen. Wir sollten hinaufgehen und sehen, ob irgend etwas fehlt. Vielleicht ein Kronleuchter.«
Howard verzog das Gesicht, ging aber nicht weiter auf meine Worte ein; vielleicht spürte er, dass sie nicht halb so scherzhaft gemeint waren, wie sie im ersten Moment klangen. Trotzdem nickte er schließlich. »Du hast Recht – gehen wir hinauf. Hier können wir ohnehin nichts mehr ausrichten.«
Nach einem letzten, verstörten Blick auf die zugemauerte Tür wandte ich mich um und ging zur Treppe zurück.
Ich fand erst jetzt wirklich Gelegenheit, mich im Keller umzusehen. Eigentlich gab es nichts Besonderes – er war sehr groß und die Decke war, wie bei Kellern in alten Häusern oftmals üblich, mehrfach gewölbt und wurde von einer Reihe fast mannsdicker Stützpfeiler getragen. Trotz seiner Größe wirkte er eher beengt, denn er war fast zum Bersten mit Kisten, Fässern und in Tuch eingeschlagene Ballen vollgestopft, die – ihrem verstaubten Äußern nach zu urteilen – schon seit sehr langer Zeit unangetastet hier liegen mussten. Das Licht, das durch die wenigen vergitterten Fenster hereinfiel, wirkte grau und blass.
Und …
Ich war mir nicht sicher und ich blieb auch nicht stehen, um mich zu überzeugen, aber ein paar der Linien und Winkel kamen mir falsch vor.
Das Gefühl war schwer in Worte zu kleiden, aber es war, als gäbe es hier und da einen Winkel, den es eigentlich nicht geben durfte, eine Linie, die gleichzeitig gerade und gekrümmt war, ein Rechteck, dessen Winkel mehr als dreihundertsechzig Grad maß.
Ich versuchte den Eindruck abzuschütteln. Es war nicht das erste Mal, dass ich so etwas sah – die Welt, in die ich getreten war,
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