Hexer-Edition 07: Im Bann des Puppenmachers
zumindest dämpfen zu können.
Diesmal versagte sein Können. Im Gegenteil – der Schmerz steigerte sich zu plötzlicher Raserei, füllte seinen Schädel aus und schickte dünne brennende Adern aus purer Agonie in seinen Körper. De Laurec keuchte. Seine Hand krampfte sich so fest um das Glas, dass es zerbrach und die Scherben tiefe Wunden in seine Haut schnitten. Er taumelte, fiel rückwärts gegen den Barwagen und stürzte in einem Hagel von zersplitternden Gläsern und Flaschen zu Boden. Blut lief über seine Hände, eine Scherbe zerschnitt seine Wange und der Inhalt der zerborstenen Flaschen bildete eine große, scharf riechende Lache aus den Mosaikfliesen des Bodens.
De Laurec spürte nichts von alledem.
Es war so wie beim ersten Mal, nur tausendfach schlimmer.
Das Zimmer zuckte und bebte vor seinen Augen, als wären die Wände und die Einrichtung plötzlich zu grässlichem Leben erwacht. Fremde, unangenehme Farben überlagerten die zarten Pastelltöne der Tapeten und Gardinen und aus den Schatten krochen Dinge.
De Laurec schrie. Verzweifelt bäumte er sich auf, schlug wie von Sinnen um sich und presste die Hände gegen die Augen, aber es nutzte nichts. Er konnte weiter sehen, als verfügte er plötzlich über zusätzliche Sinne, und er sah weit mehr, als er es mit seinen normalen menschlichen Augen je gekonnt hätte.
Das Zimmer veränderte sich weiter. Die Wände bogen und verzerrten sich auf groteske Weise. Graue, blasphemische Scheußlichkeiten starrten ihn aus den Rissen und Wunden der Wirklichkeit an, Blasen schlagende Tentakel peitschten und da, wo der Boden sein sollte, kroch ein unheimlicher schwarzer Sumpf.
Dann, so schnell, wie die Visionen gekommen waren, verschwanden sie wieder. Mit ihnen verging der grausame Schmerz in de Laurecs Schädel und plötzlich war die Welt wieder so, wie Sarim de Laurec sie kannte.
Beinahe jedenfalls.
Es dauerte lange, bis dem Puppet-Master des Templerordens die Veränderung auffiel.
Die Wirklichkeit hatte Flecken bekommen.
Es war ein sonderbarer, sinnverdrehender Effekt, der ihn abermals aufstöhnen ließ, kaum dass er sich mühsam in eine halbwegs sitzende Position hochgestemmt hatte. Dutzende von kleinen, verwaschenen grauen Flecken übersäten das Bild, das ihm seine Augen zeigten. Sie waren nicht statisch, sondern bewegten sich ununterbrochen, flitzten wie kleine graue Nebeltierchen hin und her und huschten jedesmal davon, wenn er versuchte, genauer hinzusehen. Es war, als wäre sein Blick plötzlich getrübt; die grauen Flecken schienen auf seinen Netzhäuten zu sein, sodass es ihm unmöglich war, sie direkt anzusehen. Einen Moment lang versuchte er, sich an diese Erklärung zu klammern.
Aber er wusste auch, das es nicht so war. Er hatte graue Flecken wie diese schon einmal gesehen, vor nicht einmal zwei Tagen.
Und dann hörte er die Stimme.
Sie war lautlos und erklang direkt in seinem Gehirn und sie sprach Worte, die Sarim de Laurec noch nie zuvor in seinem Leben gehört hatte; Worte aus einer Sprache, die vor zweihundert Millionen Jahren untergegangen war, zusammen mit dem Volk, das sie benutzte.
Und trotzdem verstand er sie.
Länger als eine Stunde blieb er reglos und mit geschlossenen Augen hocken und lauschte auf die unsichtbare Stimme in seinem Schädel.
Als er endlich aus seiner Erstarrung erwachte, war alles Leben aus seinen Augen gewichen. Sie waren grau und matt, und alles, was darin noch loderte, war das Feuer des Wahnsinns. Sein Gesicht war schlaff, als lege das, was jetzt die Herrschaft über seinen Körper hatte, keinen Wert mehr auf die Kontrolle seiner Muskeln.
Aber er war nicht nur äußerlich verändert. Die größere, schlimmere Veränderung hatte sich lautlos und unsichtbar abgespielt, hinter seiner Stirn und auf einer Ebene seines Denkens.
Sarim de Laurec, der Puppet-Master des Templerordens, hatte einen neuen Herren gefunden.
Der erste halbwegs klare Gedanke war Erstaunen. Verwunderung darüber, dass ich noch lebte. Dann Schmerz. Ein Schmerz, der nicht genau zu lokalisieren war, sondern überall in meinem Körper wühlte, als zupfe jemand genüsslich an jedem einzelnen Nerv, den ich hatte. Dann begannen sich die düsteren Schleier zu lichten, die mein Bewusstsein umgaben; ich hörte Geräusche, spürte die Kälte des Regens auf der Haut und das harte Pflaster der Straße unter dem Kopf; und schließlich gerann der Schmerz zu einem grässlichen Brennen und Stechen in meinen Fußknöcheln und einem kaum weniger peinigenden
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