Hexer-Edition 07: Im Bann des Puppenmachers
nicht. Er wählte den einfacheren Weg.
Einen halben Meter hinter Rowlf schien die Wand zu explodieren. Steine und Kalk flogen in hohem Bogen auf die Straße hinaus und trieben uns zurück, dann erbebte die Wand ein zweites Mal wie unter einem titanischen Hammerschlag und ein fast zwei Meter hohes und halb so breites Stück der Ziegelmauer sank polternd in sich zusammen.
Und in der Bresche erschien eine verkrüppelt wirkende menschliche Gestalt. Ihr Stahlgebiss blitzte.
Howard drehte das Gesicht aus dem Wind, stieß die Tür vollends auf und sprang aus dem Wagen, noch ehe das Gefährt vollends zum Stehen gekommen war. Eines der beiden Kutschpferde begann unruhig mit den Hinterläufen zu stampfen, als in unmittelbarer Nähe ein Blitz aufzuckte. Kaum eine Sekunde später rollte das polternde Echo eines Donnerschlages durch die Nacht.
»Sie sind sicher, dass ich Sie nicht bis zum Haus fahren soll, Monsieur?«, erkundigte sich der Kutscher, als Howard den Wagen umrundete und ihm einen zusammengefalteten Geldschein hinaufreichte. »Es kostet nicht mehr«, fügte er gutmütig hinzu.
»Darum geht es nicht«, antwortete Howard rasch, zog mit der Linken den Hut tiefer in die Stirn und deutete eine Kopfbewegung zum Chalet an. »Mein Freund ist ein Sonderling, wissen Sie«, sagte er, lächelte entschuldigend und tippte sich bezeichnend mit dem Zeigefinger gegen die Schläfe. »Er hat Angst um seinen Rasen und wird fuchsteufelswild, wenn ein Wagen auf sein Grundstück fährt.«
Der Kutscher blickte ihn an, als zweifle er ernsthaft an seinem Verstand, sagte aber nichts mehr, sondern steckte den Geldschein ein, verkroch sich tiefer hinter der Krempe seines Regenhutes und ließ die Peitsche knallen. Wie zur Antwort dröhnte eine halbe Sekunde später ein weiterer Donnerschlag.
Howard wartete, bis der Wagen hinter glitzernden Regenschleiern verschwunden war, dann drehte er sich um, zog den Mantel noch enger um die Schultern und ging gebückt auf das große, schmiedeeiserne Tor zu, das die weiß gekalkte Gartenmauer durchbrach. Die rostigen Scharniere quietschten unheimlich, als er das Tor aufschob.
Wieder zerriss ein Blitz die Nacht wie ein verästelter blau-weißer Riss im Himmel. Das plötzliche, grelle Schlaglicht ließ die Umrisse des Chalets als schwarzen Schattenriss aus der Nacht treten.
Howard schauderte, aber das rasche, eisige Frösteln, das über seinen Rücken lief, hatte nichts mit der Kälte zu tun, die wie ein klammer Hauch über dem Land lag. Es war der Anblick des Hauses gewesen, der ihn frösteln ließ. Es war nicht das erste Mal, dass er hier war. Aber er hatte gehofft, dieses fürchterliche Haus nie wieder betreten zu müssen …
Schatten tauchten aus der Schwärze des Gartens auf und umschlichen ihn, dann wuchs ein großes, zottiges Ding direkt vor ihm aus der Nacht, ein Etwas wie die grässliche Parodie eines Hundes, mit Fängen aus Stahl und glühenden Augen aus rotem Kristall, in denen Mordlust loderte. Aber Howard ging mit unvermindertem Tempo weiter. Er wusste, dass ihm die leblosen Wächter dieses Hauses nichts zuleide tun würden. Sein Schicksal wartete im Inneren des Gebäudes auf ihn.
Die Tür des Chalets schwang nach innen, als er die breite Freitreppe hinaufging. Ein sanftes, gelbliches Licht glomm unter der Decke der gewaltigen Empfangshalle auf und die Tür schloss sich wie von Geisterhand bewegt wieder, als er hindurchgetreten war.
Howard ging ein paar Schritte weit in die Halle hinein, blieb stehen und sah sich aufmerksam um. Er war allein. Trotzdem spürte er, dass er von zahllosen unsichtbaren Augen beobachtet wurde.
Fast eine Minute lang blieb Howard reglos stehen und wartete. Im Haus herrschte eine fast geisterhafte Stille, ein Schweigen sonderbar tiefer, unnatürlicher Art, das vom rollenden Echo der Donnerschläge noch betont wurde, und ein paarmal flackerte das Licht. Howard sah nach oben und bemerkte, dass die Gaslüster, die bei seinem letzten Besuch vor zehn Jahren unter der Decke gehangen hatten, durch elektrische Lampen ersetzt worden waren. Ein dünnes, fast schmerzliches Lächeln stahl sich auf seine Lippen. Sarim de Laurec hatte schon immer eine Vorliebe für technische Spielereien gehabt. Was hatte er erwartet?
Am anderen Ende der Halle öffnete sich eine Tür. Ein schmales Dreieck grellweißen, blendenden Lichtes schnitt in die gelbliche Helligkeit der Halle, dann erschien ein Schatten unter der Tür, gleich darauf ein zweiter.
»Sarim?«, fragte Howard. Er
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