Hexer-Edition 07: Im Bann des Puppenmachers
Audley.
»Iä - N’ghy, n’ghya!«, zitierte Howard aus dem Gedächtnis. »Näthägn oa Shub-Niggurath, näfthfath whaggha nagll. Erinnern Sie sich?«
»Erinnern?« Lady Audleys Lippen begannen erneut zu zittern. »Das … das soll ich gesagt haben? Aber das ist … das ist unmöglich. Ich soll so etwas gesagt haben? Diese furchtbaren … Laute?«
»Sie haben es gesagt«, bestätigte Howard. »Aber Sie erinnern sich nicht?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein«, flüsterte sie. »Alles, woran ich mich erinnere, ist …« Sie brach ab, schwieg einen Moment und begann zu weinen.
»Cindy«, schluchzte sie. »Meine arme, kleine Cindy. Wir … wir müssen ihr helfen.« Plötzlich richtete sie sich auf, ergriff meinen Unterarm mit beiden Händen und presste ihn mit verzweifelter Kraft. »Sie werden ihr helfen, Robert!«, flehte sie. »Sie werden ihr doch helfen, oder?«
Es war Howard, der an meiner Stelle antwortete.
»Das werden wir, Lady Audley«, versprach er. »Das werden wir. Aber Sie müssen uns auch helfen. Wir müssen alles wissen, alles über Cindy und ihren Tod und -«
Ich hörte nicht mehr zu. Lady Audley antwortete mit leiser, stockender Stimme, aber ihre Worte glitten irgendwie an meinem Bewusstsein vorbei, ohne den Schleier aus Schwindel und ungläubigem Entsetzen durchdringen zu können, der sich plötzlich zwischen mich und die Wirklichkeit geschoben zu haben schien.
Es hatte lange gedauert, bis ich wirklich begriff. Ich hätte die Worte gleich erkennen müssen, obgleich es ein gutes halbes Jahr her war, dass ich solche Laute, wie Lady Audley sie ausgestoßen hatte, zum letzten Mal gehört hatte. Aber irgendetwas in mir hatte sich dagegen gesträubt, mich einfach daran gehindert, die Wahrheit zu erkennen, obwohl sie zum Greifen nahe vor mir lag.
Jetzt war der Schleier zerrissen. Die Wirklichkeit hatte mich eingeholt.
Es waren die Worte einer Sprache, die vor Millionen Jahren untergegangen war, zusammen mit dem Volk, das sie gesprochen hatte. Ein Volk uralter, böser Götter, die einst die Erde beherrscht hatten.
Das Volk der GROSSEN ALTEN.
Der Wind hatte aufgefrischt und die Böen hatten – scheinbar zufällig – die Wolkendecke über dem Friedhof aufgerissen, sodass die bleiche Scheibe des Mondes sichtbar geworden war und ihr silbernes Licht auf das frisch ausgehobene Grab warf.
Das Schweigen des Gottesackers war dem Scharren und Kratzen ungezählter kleiner Pfoten gewichen. Überall zwischen den Gräbern war Bewegung. Schwarze, huschende Bewegung, ein Wallen und Wogen und Schieben in keine bestimmte Richtung, als wäre der Erdboden selbst zum Leben erwacht. Zahllose Krallen rissen und scharrten den Erdboden auf, zerrten an Gras und Moos, scharrten über Holz und Knochen und gruben und wühlten. Die Ratten waren zu Millionen gekommen und über die Felder und Straßen strömten noch immer weitere herbei, hunderttausende der kleinen, pelzigen Nager, die dem lautlosen Ruf folgten, den sie empfangen hatten.
Die Frau mit dem Rattenschädel war an ihren Platz am Kopfende des Grabes zurückgekehrt. Sie stand da, reglos und mit ausgestreckten, wie zu einer Beschwörung erhobenen Händen. Sie hatte das grüngraue Gewand wieder abgestreift, sodass das Mondlicht ihre zarte Haut wie eine silberne Hand streichelte.
Das grüne Glühen war erloschen, aber das Grab war trotzdem nicht leer. Auf seinem Boden wogte etwas Formloses und Finsteres, das trotzdem eine Aura unglaublicher Macht und Dunkelheit ausstrahlte. Es war nichts Fassbares, sondern beinahe nur ein Schatten, ein dunkles Wabern und Gleiten, als schicke sich die Dunkelheit am Grunde des Grabes an, allmählich Substanz zu gewinnen.
Länger als eine Stunde stand die Fremde so da, reglos und wie zur Salzsäule erstarrt. Dann fuhr sie plötzlich herum, riss den rechten Arm in die Höhe und stieß einen einzelnen, fast absurd klingenden Laut aus.
Sekundenlang geschah nichts. Dann teilte sich die Dunkelheit jenseits des Grabes und zwei weitere Gestalten erschienen inmitten des Rattenheeres, Gestalten mit menschlichen Körpern – aber den Gesichtern von Ratten.
Stumm traten sie bis auf Armeslänge an die Unheimliche heran, blickten aus ihren schwarzen Rattenaugen zu dem knöchernen Gesicht empor und lauschten den lautlosen Befehlen, die sie ihnen gab. Dann wandten sie sich in einer synchronen Bewegung, als wären sie im Grunde ein einziges großes Wesen, das nur durch Zufall in zwei Körpern weilte, um und begannen davonzugehen.
Das
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