Hexer-Edition 08: Engel des Bösen
Aber was sollte er tun?
Plötzlich geschah etwas Sonderbares: Im gleichen Moment, in dem er an Robert Craven dachte, sah er sein Gesicht vor sich. Nicht wirklich, wie die Gestalt Andaras gerade, sondern vor seinem geistigen Auge, aber dafür mit fast übernatürlicher Klarheit. Roberts Gesicht, eingebettet in ein Meer von Schwärze, verzerrt vor Angst und Entsetzen. Seine Lippen bewegten sich wie zu einem stummen Schrei und in seinen Augen flackerte das absolute Grauen.
»Robert!«, schrie Howard. Instinktiv streckte er die Hand aus, und obwohl alles, was er sah, nichts als Illusion war, reagierte Robert auf diese Geste. In seinem Blick glomm Erkennen auf.
»Hilf … mir!«, stöhnte er.
Howard verdoppelte seine Anstrengungen. Mit aller Macht dachte er an Robert, versuchte ihn herbeizuzwingen und spürte, wie –
die Grabreiben und Wege verblassten, grau gewordener, mürber Stein nahm den Platz von lockerem Kies ein und wo verfallene Kreuze und Unkraut gewesen waren, lagen Kleiderfetzen und Lachen braun eingetrockneten Blutes.
Howard schrie auf. Die Vision hatte nur eine Sekunde gedauert, aber er begriff plötzlich, dass alles, was er zu sehen glaubte, nichts als Schein war. Er war noch immer in der unterirdischen Halle. Die Gruft, Andara, seine Worte – alles war nichts als Lüge gewesen. Eine geschickte Täuschung, die Shub-Niggurath seinem Geist aufgezwungen hatte. Irgendwo tief, tief in seinem Bewusstsein glaubte er ein hässliches, abgrundtief böses Lachen zu hören.
Und plötzlich begriff er auch, warum. Aber da war es zu spät.
Mein Gesicht lag in etwas Kühlem, widerlich Weichem. Fäulnisgeruch drang in meine Nase und zwischen meinen Schulterblättern war ein quälender Schmerz. Ich versuchte zu atmen, hatte plötzlich den Mund voller feuchtem, moderig schmeckendem Erdreich und fuhr mit einem Schrei hoch.
Das Erste, was ich sah, war der Himmel.
Ein richtiger, normaler Himmel, dunkel bewölkt und vom zerbrochenen Sternendiadem der Milchstraße beherrscht. Kalter Wind schlug mir ins Gesicht. Ein Gefühl unglaublicher Erleichterung machte sich in mir breit. Ich wusste nicht, wo wir waren, aber das spielte auch keine Rolle. Die Höhle, der Obelisk und das schreckliche saugende Nichts waren verschwunden, das war alles, was wichtig war.
Der Gedanke führte einen anderen im Gefolge. Ich setzte mich auf, lauschte einen Moment in mich hinein, um mich davon zu überzeugen, dass ich nicht ernsthaft verletzt war, dann öffnete ich die Augen und sah mich neugierig um.
Dicht neben der Stelle, an der ich erwacht war, erhob sich ein vom Alter zerfressener, mannshoher Stein, in dessen oberes Drittel Zahlen, ein Namenszug und ein Kreuz eingemeißelt worden waren. Dahinter, in der herrschenden Dunkelheit nur mehr als Schatten erkennbar, erhob sich ein wuchtiger, an einen Sarkophag erinnernder Block. Dahinter weitere Steine, Kreuze, Skulpturen. Ein Friedhof.
So morbide mir der Anblick vorkam, passte er doch irgendwie zu dem, was wir erlebt hatten.
Ich richtete mich ganz auf, sah mich suchend um und gewahrte einen verkrümmten Körper, wenige Schritte neben mir. Rasch eilte ich hin und kniete nieder.
Es war Lady Audley. Sie lag in unnatürlicher Haltung da, das Gesicht eine Maske des Schmerzes, aber mit offenen Augen und bei klarem Bewusstsein. Als sie mich erkannte, versuchte sie sogar zu lächeln.
»Sprechen Sie nicht, Lady Audley«, sagte ich hastig. »Es ist alles in Ordnung.«
Mühsam bewegte sie die Lippen. Ich musste mein Ohr ganz dicht an ihren Mund heranbringen, um die geflüsterten Worte überhaupt zu verstehen. »Sind wir … in Sicherheit?«
Ich nickte. »Wir sind in Sicherheit.«
Ich war nicht so ganz von meinen Worten überzeugt, aber meine Erleichterung, Lady Audley am Leben und sogar bei Bewusstsein zu finden, überstieg für den Moment jedes andere Gefühl. »Versuchen Sie, still zu liegen«, sagte ich. »Ich werde mich umsehen und Hilfe holen.«
Ich wollte aufstehen, aber Lady Audley hob die Hand, umklammerte meine Finger und hielt mich mit verzweifelter Kraft fest. Die Berührung ihrer Haut war wie Eis. Ich schauderte.
»Es tut … so weh«, flüsterte sie. »Bitte, Robert … gehen Sie … nicht weg.«
Ich zögerte einen Moment, dann kniete ich abermals nieder, legte die Hand auf ihre Stirn und lauschte in sie hinein.
Was ich spürte, war ein so grenzenloser Schmerz, dass ich unwillkürlich aufstöhnte. Alles in ihr war Verzweiflung und Pein – und der übermächtige Wunsch, zu
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