Hexer-Edition 08: Engel des Bösen
einem Ruck den Kopf. Sofort begann sich der Stollen um ihn herum zu drehen. Ihm war übel. Er fühlte sich, als hätte er wochenlange Zwangsarbeit in einem Steinbruch hinter sich. Es war nicht nur dieser bizarre Traum gewesen. Shub-Niggurath hatte darauf verzichtet, ihn vollkommen zu absorbieren, wie seine anderen Opfer zuvor. Aber er hatte ihm etwas von seiner Lebenskraft genommen. Howard fühlte sich um Jahre gealtert.
»Warum habt ihr mich dann gezwungen, ihn zu rufen?«, fragte er. »Du lügst!«
»Die Kinder von Maronar lügen niemals«, erwiderte das Mädchen stolz. »Ihrem Freund droht keine Gefahr, Lovecraft. Nicht von uns. Er ist nur ein Werkzeug. So wie Sie und Cohen -«
»Und du«, schnappte Howard.
Die Spitze verfehlte ihre Wirkung. Das Mädchen nickte nur und erklärte mit großem Ernst: »Ganz recht, Mister Lovecraft. Wie ich. Wie wir alle hier.«
»Wer seid ihr?«, fragte Howard, der plötzlich eine Chance sah, mehr über dieses unterirdische Reich und seine Bewohner zu erfahren.
Aber die Mitteilsamkeit des Mädchens verging so rasch, wie sie aufgekommen war. »Sie werden alles erfahren, sobald es an der Zeit ist«, sagte sie. »Und sobald entschieden wurde, wie viel Sie wissen sollen. Ich darf nicht darüber reden.«
»Dann sag mir wenigstens deinen Namen«, bat Howard.
Das Mädchen lächelte. »Erika«, sagte sie. »Mein Name ist Erika Longfellow. Aber Namen zählen hier unten nichts.«
»Und wer verbietet dir zu reden?«, beharrte Howard. »Dieses Rattenungeheuer?«
»Die Königin?« Erika schüttelte den Kopf. »Nein. Sie ist nur ein Diener wie wir alle. Vielleicht einer, der in der Gunst der Herren ein wenig höher steht als wir, und trotzdem nur ein Werkzeug.«
»Und wer seid ihr?«
»Die Kinder Maronars«, sagte Erika. »Aber das würden Sie nicht verstehen.«
»Glaubst du?«, fragte Howard mit einem raschen, bitteren Lächeln. »Ich bin in meinem Leben mehr Sekten und -«
»Wir sind keine Sekte!«, zischte Erika aufgebracht. »Wir sind die letzten eines Volkes, das einst mächtiger war, als Sie sich jemals vorstellen können. Was wissen Sie? Sie denken, Sie wüssten über die Geschichte dieser Welt Bescheid, aber Sie irren sich, wie alle. Maronar war, lange bevor die Zeitrechnung begann, und Maronar wird wieder sein, wenn eure Zeit längst abgelaufen ist.«
Die Worte kamen Howard seltsam eingelernt und steif vor und er sagte es ihr.
Erika lachte hart. »Und? Wir lernen die Regeln unseres Glaubens. Was ist daran anders als bei Ihnen? Ihr betet einen Gott an, den es vielleicht nicht einmal gibt.«
»Zumindest ist es ein Gott, der seine Jünger nicht auffrisst«, sagte Howard böse.
In Erikas Augen flammte es auf. »Was wissen Sie?«, schnappte sie. »Wie viele Menschen haben ihr Leben gelassen im Namen Ihres Gottes? Wie viele Völker sind ausgelöscht worden im Zeichen des Kreuzes, wie viele Kriege wurden geführt, nur weil die einen glaubten, ihr Gott wäre ein wenig richtiger als der ihrer Nachbarn? Wir geben unsere Leben, das stimmt, aber wir tun es freiwillig und wir wissen, dass es einem höheren Zweck dient. Maronar wird wiederkehren, und das allein zählt. Die Thul Saduun werden -« Sie brach abrupt ab, als sie bemerkte, dass sie schon viel mehr gesagt hatte, als ihr erlaubt war. Der Zorn in ihrem Blick wandelte sich in Bestürzung.
»Gehen wir weiter«, sagte sie hastig.
Howard gehorchte. Wie immer, wenn er sich durch das unterirdische Labyrinth bewegte, verlor er fast augenblicklich die Orientierung, aber seine Führerin bewegte sich mit beinahe traumwandlerischer Sicherheit durch die halbdunklen Stollen und Gänge und führte ihn zurück zu der fensterlosen Zelle, in der er die letzte Woche verbracht hatte.
Sein Wassertrog war aufgefüllt worden und auf dem Boden vor dem Strohbüschel, das ihm als Lager diente, lagen zwei Scheiben trockenen Brotes und eine Frucht. Ein halbes Dutzend Ratten lungerte unter der Tür herum und huschte beiseite, als Erika eine befehlende Handbewegung machte.
Howard betrat die Zelle und das Mädchen wollte wieder gehen, aber Howard hielt es noch einmal zurück.
»Wie lange wollt ihr mich hier noch einsperren?«, fragte er.
Erika wich seinem Blick aus. »Nicht mehr sehr lange«, sagte sie schließlich. »Sobald die Rückkehr der Herren eingeleitet ist, besteht kein Grund mehr für uns, Sie festzuhalten. Dann können Sie gehen.«
»Und das glaubst du?« Howard zog eine Grimasse. »Belüg dich nicht selbst, Kindchen. Du weißt genau,
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