Hexer-Edition 10: Wer den Tod ruft
einer unausgesprochenen Drohung, die düsterer war, als selbst er nachempfinden konnte.
Dann lächelte er. Unsinn, dachte er spöttisch. Der Zauber war stark, den er über das Mädchen geworfen hatte. Hundert Mal stärker, als nötig gewesen wäre, eine Sterbliche zu bannen.
Und trotzdem – als er sich wieder umwandte und den langsam rinnenden Goldstaub seiner Uhr betrachtete, hatte er das unbehagliche Gefühl, als ob sie ihn anstarrte.
Er drehte sich nicht noch einmal herum, um sich zu überzeugen, dass es nicht so war und ihm nur seine Nerven einen Streich spielten.
Aber es kostete ihn große Kraft, es nicht zu tun.
Der Strudel war wieder näher gekommen und sein Dröhnen übertönte jetzt selbst das Lärmen des Sturmes und die Donnerschläge: ein tiefes, ununterbrochen anhaltendes Donnern und Krachen wie das Geräusch eines gigantischen Wasserfalles. Die DAGON schoss mit der Geschwindigkeit eines Pfeiles dahin, eingehüllt in himmelhohe Wolken aus Schaum und sprühender Gischt, die Segel gebläht und Masten und Tauwerk bis an die Grenzen ihrer Belastbarkeit gespannt. Ich konnte direkt spüren, wie das Schiff unter meinen Füßen vor Anspannung zitterte.
Dann sah ich McGillycaddy. Er rannte ein gutes Stück vor mir über das Deck der DAGON, direkt auf den gewaltigen Hauptmast zu, der sich gute hundert Schritte vor mir in den Himmel reckte. Von Shannon oder den anderen Drachenkriegern war keine Spur zu entdecken.
Ich drehte das Gesicht aus dem Wind und rannte los, so schnell ich konnte. McGillycaddys Vorsprung war beträchtlich, aber auf einem Schiff war selbst dieses Wort relativ. So gigantisch die DAGON war, es gab nicht viel Platz auf ihrem Deck, um mir davonzulaufen, wollte er nicht über Bord springen und sein Glück schwimmend versuchen.
Das tat er natürlich nicht. Dafür tat er etwas anderes, etwas, womit ich ebenso wenig gerechnet hatte. Ohne auch nur einen Sekundenbruchteil innezuhalten, raste er auf den Hauptmast zu und begann wie eine übergroße vierbeinige Spinne in seiner Bespannung emporzuklettern!
Als ich den Mast erreichte, war er schon gute fünfzig Fuß über mir. Und er stieg wie von Sinnen weiter.
»McGillycaddy!«, brüllte ich mit vollem Stimmaufwand. »Kommen Sie zurück! Das ist doch Selbstmord!«
Aber wenn McGillycaddy meine Worte über dem Grollen des Strudels und dem Heulen des Taifunes überhaupt hörte, so ignorierte er sie. Im Gegenteil – er sah zu mir herab, verzog das Gesicht zu einer Grimasse und verdoppelte seine Anstrengung noch. Der Wind warf ihn wild hin und her. Ich fragte mich, woher dieser Mann die Kraft nahm, sich überhaupt noch an dem feuchten Tauwerk zu halten.
Eine Sekunde später war ich ziemlich sicher, die Antwort am eigenen Leibe herauszufinden, denn ich sah etwas, was mich vor Schrecken zusammenfahren ließ.
Hoch über McGillycaddy stand eine schwarz gekleidete Gestalt in den Spieren, breitbeinig und – so, als wäre der Höllensturm in Wahrheit nicht mehr als ein laues Lüftchen – aufrecht und nur mit einer Hand am Hauptmast Halt suchend.
Ich schluckte einen Fluch herunter, versuchte mir einzureden, dass alles ganz einfach sei und gar nichts passieren konnte, wenn ich nur die Nerven behielt und nicht nach unten sah – und begann hinter McGillycaddy herzuklettern.
Wenn ich bedachte, dass ich es noch vor einer halben Minute für unmöglich gehalten hatte, war es sogar relativ einfach. Der Sturm versuchte mich abwechselnd in die Seile zu pressen und in die Tiefe zu reißen, das vom Regen hart und kalt gewordene Hanf des Tauwerkes riss meine Hände auf und die Erschütterungen, die die DAGON beutelten, setzten sich bis in die Mastspitze hinein fort und gaben mir das Gefühl, auf einem tollwütigen Elefanten zu sitzen – aber ich kam von der Stelle, wenn auch langsamer als McGillycaddy und mit wesentlich weniger Eleganz.
Er erreichte den Schwarzgekleideten, als ich kaum die halbe Strecke hinter mich gebracht hatte. Beinahe.
Der Sturm beutelte mich weiter, und als wolle irgendein boshafter Windgeist verhindern, dass ich wirklich sah, was geschah, erbebte die DAGON in diesem Moment unter einem gewaltigen Hieb, der das Tauwerk unter meinen Händen in eine vibrierende Bogensehne verwandelte, die sich nach Kräften bemühte, mich nach Grönland zu schießen.
Im gleichen Moment erschien der Schatten hinter dem Drachenkrieger. Es ging unglaublich schnell und ich hatte alle Hände und Füße voll damit zu tun, nicht wie ein lästiges Stäubchen
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