Hexer-Edition 10: Wer den Tod ruft
Erste, der ersoffen wäre, ehe er das Land auch nur sieht. Aber seien Sie versichert, Craven, wir wissen, wie wir mit Typen wie Ihnen umzugehen haben.«
»Sie … Sie sind ja verrückt, De Cruyk!«, keuchte ich. »Ich bin amerikanischer Staatsbürger und habe es nicht nötig, mich von einem Käsefresser wie Ihnen beleidigen zu lassen!«
De Cruyk erbleichte, schluckte aber auch diese neuerliche Beleidigung ohne ein Wort herunter.
»Amerikanischer Staatsbürger, so?«, sagte er.
Ich nickte heftig. »Genau. Und ich verlange, an Land und zur Botschaft meines Landes gebracht zu werden, Kapitän De Cruyk.«
De Cruyk seufzte. »Sie sind nicht nur ein Gauner, Craven«, sagte er, »Sie sind auch noch dumm. Nehmen Sie einen guten Rat von mir an, auch wenn es sehr lange dauern wird, bis Sie in die Verlegenheit geraten, ihn anzuwenden: Wenn Sie sich das nächste Mal einen Pass fälschen lassen, sehen Sie ihn sich genauer an, ehe Sie gutes Geld dafür ausgeben.«
»Einen … einen Pass fälschen?«, murmelte ich. »Ich verstehe nicht, was Sie wollen, De Cruyk! Dieser Pass ist so echt, wie es nur geht!«
»Ach?« De Cruyk seufzte, klappte den Pass auf und hielt ihn mir aufgeschlagen unter die Nase. »Echt, wie?«, fragte er. »Dann haben Sie die Güte, Craven, und lesen Sie mir das letzte Einreisedatum in das Königreich Britannien vor.« Ich verstand immer weniger, worauf er hinauswollte, aber ich tat ihm den Gefallen. »Der 16. April 1885«, sagte ich.
»Sind Sie sicher?«, vergewisserte sich De Cruyk. »Kein Lesefehler? Das Licht hier ist nicht besonders gut.«
»Zum Teufel, ich bin sicher!«, schrie ich. »Was soll das eigentlich?«
De Cruyk zeigte sich von meinem plötzlichen Wutausbruch nicht im geringsten beeindruckt. »Der 16. April 1885 also«, wiederholte er. »Nun gut, Craven. Über diesen Punkt haben wir schon einmal Einigkeit erzielt.« Er grinste, klappte den Pass zu und stand auf, um zur gegenüberliegenden Wand zu gehen. »Und nun«, sagte er, »haben Sie die Güte und werfen einen Blick auf meinen Bordkalender. Ich versichere Ihnen, dass er korrekt geführt wird. Vielleicht lesen Sie das Datum vor?«
Ich fuhr herum – und erstarrte.
Selbst wenn ich es gewollt hätte, hätte ich De Cruyks Befehl in diesem Moment nicht nachkommen können, denn das, was ich sah, schnürte mir im wahrsten Sinne des Wortes die Kehle zu.
De Cruyks Kalender war genauso wie sein ganzes Schiff – schmutzig und zerrissen und mit zahllosen Flecken übersät.
Aber das Datum darauf war trotz allem noch gut zu erkennen.
Es zeigte den 9. März 1883!
Irgendetwas an diesem Mann kam Eldekerk seltsam vor. Er wusste nicht, was, aber da war etwas. Etwas … ja, etwas, das ihn warnte. Der Anblick eines Fremden an sich war nichts Besonderes, nicht einmal hier, in der winzigen Hafenstadt an der Westküste Krakataus, denn die Sundastraße gehörte zu den am stärksten frequentierten Seewegen in diesem Teil der Welt und seit die Gesellschaft ihre gierigen (aber auch schützenden) Krallen von Indonesien gezogen hatte, verschlug es die abenteuerlichsten Typen hierher. Männer, die auf das schnelle Glück hofften und in den meisten Fällen nur einen schnellen Tod fanden. Eldekerk hatte weiß Gott schon abenteuerliche Erscheinungen gesehen, seit er vor vier Jahren sein Domizil hier aufgeschlagen hatte. Und trotzdem …
Vielleicht war es gerade die Unauffälligkeit seiner Erscheinung, die Eldekerk so unangenehm aufstieß. Der Mann war durchschnittlich groß, von normalem Wuchs und Gehabe, vielleicht ein bisschen zu selbstbewusst, und hatte eines jener Gesichter, von denen man glaubt, sich jederzeit daran erinnern zu können, die aber wie durch Geisterhand sofort aus der Erinnerung verschwinden, sobald sie sich abwenden. Das einzig Auffällige an ihm war vielleicht noch seine Kleidung.
Jeder Fetzen, den er am Leibe trug, war schwarz. Eldekerk war sogar sicher, dass er schwarze Unterwäsche trug. Und er interessierte sich für ihn, Eldekerk.
Es war unschwer zu übersehen. Der Mann war bereits da gewesen, als Eldekerk die heruntergekommene Hafenkneipe betreten und ein Bier bestellt hatte, eine finstere, schweigende Gestalt, die an einem kleinen Tisch in einer schattigen Ecke hockte, ein Glas mit Fruchtsaft in der Hand hielt – ohne auch nur ein einziges Mal daran zu trinken – und ihn anstarrte.
Zuerst hatte sich Eldekerk einzureden versucht, dass er es sich nur einbildete. Er kannte den Mann nicht und er war niemand, für den sich ein
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