Hexer-Edition 10: Wer den Tod ruft
Fremder interessieren würde. Aber er hatte seine Blicke gespürt, die ganze Zeit über, während er an der Theke saß und Bier trank und dem Kauderwelsch des Wirtes zuhörte, der irgendwann vor zehn Jahren einmal seine Muttersprache vergessen haben musste und manchmal in einem Satz drei verschiedene Dialekte benutzte, sodass Eldekerk niemals genau zu sagen wusste, mit wem oder worüber er überhaupt redete. Er hatte den Blick der dunklen, durchdringenden Augen gespürt wie die Berührung einer unsichtbaren Hand, eisig und unangenehm, und ein paarmal hatte er aufgesehen und zu dem Fremden hinübergeblickt.
Der Mann hatte seinem Blick standgehalten und das war etwas, was Eldekerk noch mehr verstört hatte. Eldekerk hatte es zur Perfektion entwickelt, andere anzublicken und damit zu verunsichern; ein Trick, den ihm einmal ein malayischer Pirat gezeigt hatte und der so gut wie immer funktionierte – er sah sein Gegenüber nicht an, sondern starrte gebannt auf einen Punkt über dessen Nasenwurzel, sodass er seinen Blick nicht ertragen musste, der andere aber den Eldekerks. Es gab wenige Menschen, die es ertrugen, minutenlang ausdruckslos angestarrt zu werden.
Der Fremde gehörte dazu.
Schließlich – es war beinahe Abend und die allmählich länger werdenden Schatten sagten ihm, dass es Zeit wurde, nach Hause zu gehen und seine Ausrüstung zusammenzupacken – signalisierte er dem Wirt, ein letztes Bier zu bringen und die Rechnung zu machen. Als er in die Tasche griff, um sein abgewetztes Portemonnaie hervorzuziehen, trat eine schlanke Gestalt neben ihn, drückte seine Hand mit sanfter Gewalt nach unten und legte einen Zehn-Gulden-Schein auf die Theke.
»Sie gestatten, dass ich Ihre Rechnung übernehme, Mijnheer Eldekerk?«
Eldekerk blinzelte verwirrt. Es war der Fremde in der schwarzen Kleidung. Er lächelte jetzt, aber es war ein Lächeln, das so vollkommen kalt und falsch war, dass es Eldekerk noch viel weniger gefiel als sein unverschämtes Starren zuvor. Aber irgendetwas hinderte ihn daran, dem Kerl die Antwort zu geben, die er verdiente. Nach einer Weile nickte er.
»Danke«, murmelte er verstört. »Aber …«
Der Fremde machte eine rasche, irgendwie befehlende Geste mit der Hand und Eldekerk verstummte mitten im Satz. »Nicht hier«, sagte er leise. »Ich muss mit Ihnen reden, Mijnheer. Können wir zu Ihnen nach Hause gehen?«
Abermals war es Eldekerk unmöglich, sich dem zwingenden Ausdruck der hellen, wasserklaren Augen seines Gegenübers zu widersetzen, und abermals nickte er, obgleich er in Wahrheit alles andere lieber getan hätte, als diesen unheimlichen Fremden auch noch mit sich nach Hause zu nehmen.
»Dann kommen Sie«, sagte der Schwarzgekleidete. »Sie haben ja nicht mehr viel Zeit, oder?«
Eigentlich hatte es Eldekerk nicht für möglich gehalten – aber seine Verwirrung steigerte sich noch. Dieser Mann schien Dinge zu wissen, die er einfach nicht wissen konnte.
Sie verließen das Wirtshaus und der Fremde schlug ganz selbstverständlich die Richtung ein, in der Eldekerks Haus lag. Sie gingen schnell, der Schwarzgekleidete zwei Schritte voraus, Eldekerk stumm und wie unter Hypnose hinter ihm her, bis ins Innerste verstört, aber unfähig, auch nur mit einer Silbe zu protestieren.
Erst als sie die schäbige Hütte nahe des Ortsrandes betreten und Eldekerk die Tür hinter sich geschlossen hatte, fiel die sonderbare Lähmung wenigstens zum Teil von ihm ab.
»Wer zum Teufel sind Sie?«, fragte er. »Woher kennen Sie mich und was wollen Sie eigentlich von mir?«
Der Fremde lächelte, lehnte sich gegen die Tür und verschränkte die Arme vor der Brust. Bei jedem anderen hätte die Geste nichtssagend oder allenfalls großspurig gewirkt. Bei ihm wirkte sie drohend. Eldekerk verspürte einen kurzen, heftigen Anflug von Furcht.
»Woher ich Sie kenne und wer ich bin, spielt keine Rolle, Mijnheer Eldekerk«, sagte der Fremde. »Mein Name ist Shannon, das mag fürs Erste genügen. Ich habe Ihnen einen Vorschlag zu machen.«
»Was für einen Vorschlag?«, schnappte Eldekerk. »Ich bin nicht interessiert.«
»Sie haben ihn ja noch gar nicht gehört«, sagte Shannon lächelnd.
»Das brauche ich auch nicht«, antwortete Eldekerk, weit heftiger, als angemessen erschienen wäre. Plötzlich, von einer Sekunde auf die andere, als hätte irgendetwas, das nun nicht mehr da war, bisher seinen Willen gelähmt, flammten Zorn und Furcht vor diesem unheimlichen Fremden in ihm auf. Er wollte nicht zuhören,
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