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Hexer-Edition 15: Der Koloss von New York

Hexer-Edition 15: Der Koloss von New York

Titel: Hexer-Edition 15: Der Koloss von New York Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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»Ist irgendetwas nicht in Ordnung, Sir?«, fragte er.
    »Haben Sie den Schrei nicht gehört?«
    »Einen Schrei?«, entgegnete er. »Wissen Sie, Sir, meine Ohren sind nicht mehr so –«
    »Still!«, unterbrach ich ihn. »Hören Sie!«
    Da war er wieder, der Schrei aus der Ferne. Jetzt konnte ich sogar die Richtung bestimmen. Ohne länger zu zögern schwang ich mich auf den Kutschbock hinauf, ignorierte die hilflosen Gesten meines Fahrers, der offensichtlich glaubte, ich läge im Delirium, und deutete mit dem Arm in die Richtung, aus der der Schrei erklungen war. »Schnell, Mann, machen Sie schon! Da ist eine Frau in Gefahr! In Lebensgefahr!«
    Endlich begriff er und lenkte seinen Gaul herum. Die lange, dünne Peitsche fuhr auf den Rücken des Tieres nieder.
    Trotzdem war er noch nicht vollends überzeugt. »Wird wohl ein Ehekrach gewesen sein, Sir«, warf er ein. »Kommt in dieser Gegend des öfteren vor. Bestimmt ist es nichts Ernstes.«
    Ich hörte ihm kaum zu, sondern starrte angestrengt nach vorn, versuchte die Dunkelheit mit Blicken zu durchdringen. Die Schreie waren verstummt. Verdammt! Kam meine Hilfe zu spät?
    Die Kutsche holperte über immer schlechter werdende Straßen. Auch die Gebäude zu beiden Seiten machten einen immer verfalleneren Eindruck, je weiter wir kamen. Die Gaslaternen am Straßenrand wurden seltener und blieben schließlich ganz aus. Und immer noch war nichts zu sehen oder zu hören.
    Fast wollte ich schon aufgeben, als sich plötzlich ein massiger Schatten vor uns aus der Dunkelheit schälte. Gleichzeitig begann das Pferd des Kutschers zu scheuen und wieherte schrill auf.
    Das Tier hatte Angst, panische Angst! Was immer da vor uns auf der Straße hockte, es musste so gefährlich sein, dass es die Instinkte des Kutschengaules weckte. Ein Raubtier vielleicht? Hier, in London?
    »Halten Sie. Ich sehe mir die Sache aus der Nähe an«, sagte ich und wollte mich vom Bock schwingen, aber der Kutscher hielt mich am Rockaufschlag zurück.
    »Sir! Bleiben Sie hier! Ich werde gehen.« Mit diesen Worten klappte er die schmale Fußbank zurück und griff hinein. Als seine Hand wieder zum Vorschein kam, umschloss sie den Lauf eines Trommelrevolvers.
    Der gute Mann mochte wohl denken, ich sei ein übermütiger adliger Geck, der sich der Gefahr nicht bewusst war, doch mir fehlte die Zeit, ihn vom Gegenteil zu überzeugen. Ich riss die Waffe aus seinen Fingern, schlug die Hand beiseite, die noch immer meinen Kragen hielt, und ließ mich zur Seite fallen.
    Ich kam mehr schlecht als recht auf dem Straßenpflaster auf, kämpfte einen Moment um mein Gleichgewicht und blickte mich nach allen Seiten um. Doch der massige Schatten, den ich eben noch kaum zehn Schritt entfernt gesehen hatte, war verschwunden!
    Nein, nicht verschwunden, ich sah ihn gerade noch um eine Straßenecke biegen. Er floh!
    Ohne lange zu überlegen sprintete ich los – und stolperte fast über die zierliche Gestalt, die reglos ein paar Schritte weiter am Boden lag.
    Es war ein Mädchen, nicht älter als zwanzig Jahre. Sekundenlang wusste ich nicht, was ich tun sollte: den Kerl verfolgen, der das Mädchen offensichtlich überfallen und vielleicht gar missbraucht hatte, oder mich um die Kleine kümmern. Ich beugte mich rasch über sie und tastete nach ihrem Puls. Gott sei Dank, sie lebte!
    Hastig sprang ich wieder auf und wandte mich nach der Kutsche um. Der Droschkenfahrer kam bereits mit eiligen Schritten auf mich zu. Jetzt stand mein Entschluss fest.
    »Kümmern Sie sich um das Mädchen hier!«, rief ich ihm zu. »Ich werde versuchen, ob ich den Kerl noch erwische!«
    Und rannte los …
     
    Die enge Gasse war stockfinster, noch schwärzer als die Nacht selbst. Das bleiche Licht des Mondes, das ab und zu durch die schweren, tief hängenden Wolken gebrochen war und die Konturen der baufälligen Gebäude schemenhaft nachgezeichnet hatte, wurde von hohen, dicht beisammen stehenden Wänden vollkommen ausgesperrt. Ich konnte nicht einmal mehr die sprichwörtliche Hand vor Augen sehen.
    Trotzdem stolperte ich in die Dunkelheit hinein, den kühlen Schaft der Pistole fest umklammert. Doch die Sicherheit, die mir die Waffe gab, erschien mir schal und mehr als fragwürdig, wenn ich nur an die Größe des Schattens dachte, den ich über das Mädchen gebeugt gesehen hatte. Das war kein Mensch gewesen, wurde mir jetzt klar. Im ersten Moment hatte ich unwillkürlich an den irren Dirnenmörder gedacht, der schon seit Monaten sein Unwesen in den

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