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Hexer-Edition 15: Der Koloss von New York

Hexer-Edition 15: Der Koloss von New York

Titel: Hexer-Edition 15: Der Koloss von New York Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Bösen, aber die Zeit, die sie mit dem schrecklichen Buch verbunden gewesen war, hatte Spuren hinterlassen. Priscyllas Geist war gefangen in einer Welt jenseits der unseren; in Dimensionen, in die nur die Wahnsinnigen je vorstoßen konnten.
    Ich schüttelte die schmerzhaften Gedanken ab – diesmal machte es mir der Alkohol beinahe leicht – und schwankte durch den verrauchten Schankraum ins Freie.
    Die Nacht war kühl geworden und die frische Luft ließ mich für einen Moment schwindeln. Ich umkrampfte mit beiden Händen den schlanken Stockdegen, der jetzt natürlich in seiner hölzernen Ummantelung steckte und mir als Spazierstock diente.
    »Zu Diensten, Sir.«
    Die plötzliche Stimme ließ mich erschrocken aufschauen. Die Droschke, die aus einer versteckten Seitenstraße gerollt war und nun vor mir auf der Straße hielt, hatte ich gar nicht bemerkt. Vom Kutschbock her blinzelten mich wache, gutmütige Augen an.
    »Äh – ja. Bitte.« Ich rückte den Kragen meines Umhanges zurecht und löste mich aus dem Schatten des Gebäudes. Der Kutscher schwang sich mit einer eleganten Bewegung vom Bock herab und landete neben mir auf dem Trottoir. Er riss den Wagenschlag auf und vollführte mit der Linken eine übertrieben einladende Geste.
    »Bitte sehr, zu Ihrer Verfügung. Wohin darf ich Sie bringen, Verehrtester?«
    »Nummer 9, Ashton Place, bitte.«
    Seine eher legere Art fiel von ihm ab wie ein hastig geöffneter Mantel. Er straffte sich und wirkte in diesem Moment so lächerlich steif und gespielt vornehm, dass ich unwillkürlich grinsen musste.
    »Entschuldigen Sie, Sir«, beeilte sich der Droschkenkutscher zu sagen, »ich wusste nicht, dass der gnädige Herr -«
    »Schon gut«, unterbrach ich ihn und winkte unwillig ab. »Vergessen Sie die Förmlichkeiten. Fahren Sie mich einfach, okay?«
    »Jawohl, Sir!« Obwohl ich ihm mit dem letzten Wort bewusst meine amerikanische Herkunft angedeutet hatte (ein wahrer Brite würde sich lieber die Zunge abbeißen, als ein »Okay« auszusprechen), konnte der gute Mann wohl doch nicht gegen seine Natur. Er verbeugte sich ein paar Mal und half mir in die Kutsche.
    Ich ließ mich schwer auf die Samtbezüge sinken und atmete kräftig durch. Langsam wurde mein Kopf wieder klar. Ich hörte, wie der Kutscher zurück auf seinen Bock kletterte. Die schwankende Bewegung, in die er die Droschke damit versetzte, weckte unangenehme Gefühle in meiner Magengegend. Dann ließ er die Peitsche knallen. Das Gefährt ruckte an und holperte über grobes Backsteinpflaster. Meine Eingeweide begannen im gleichen Takt zu schwingen.
    Ich hatte mit voller Absicht ein Lokal etwas außerhalb der Londoner City gewählt; hier verkehrten nicht die feinen Pinkel wie in den vornehmen Clubs der Innenstadt, sondern jener Menschenschlag, den ich während meiner Jugendzeit in New York kennengelernt hatte: die arbeitende Klasse, herzliche Männer mit derbem Humor und immer für eine Überraschung gut. Wenn auch nicht immer für eine angenehme …
    Fast wünschte ich mir, die letzten Jahre einfach ablegen zu können und wieder zu ihnen zu zählen. Doch diese Sehnsucht war nur eine Reaktion auf die Schrecken, die ich seitdem erlebt hatte. Im Hafen von New York wäre mein Leben auch nur in zwei möglichen Bahnen weiter verlaufen: entweder hinter schwedischen Gardinen oder als Mitglied einer Straßengang. Das bleibt kaum aus, wenn man seinen Lebensunterhalt mit Gaunereien und kleinen Überfällen verdient. Und früher oder später hätte ich es mit einer Kugel im Rücken oder am Galgen beendet …
    Ein Schrei riss mich aus meinen Gedanken!
    Obwohl er in weiter Entfernung erklang und durch das Rumpeln der Kutsche fast übertönt wurde, durchfuhr er mich heiß und kalt. Oftmals schon hatte ich Schreie dieser Art hören müssen. So schrien Menschen in Todesangst!
    Ich sprang auf und schlug mit der Faust kräftig gegen die Holzverkleidung zum Kutschbock. Von draußen erklang ein unwilliges Brummen, dann wurde ein kleines Schiebefenster zur Seite gerückt. Das Gesicht des Kutschers erschien in der Öffnung. »Sir?«
    »Halten Sie – schnell!«, fuhr ich ihn an; heftiger, als es notwendig gewesen wäre.
    Das Gesicht verzog sich fragend und verschwand wieder. »Brrr! Hoo, Lizzy, hoo!« Die Kutsche kam langsam zum Stillstand. Ich riss den Schlag auf und sprang mit einem Satz ins Freie. Mein Rausch war wie fortgeblasen; der Schrei hatte mich von einem Moment auf den nächsten ernüchtert.
    Der Kutscher sah mich dümmlich an.

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