Hexer-Edition 16: Stirb, Hexer!
Macht in seinem Kopf.
Mit einem Male wieder ganz ruhig, richtete er sich auf, strich sich glättend über den Mantel und sah sich um. Der Dachboden lag da wie immer: vollgestopft mit Gerümpel und ausrangierten Möbeln, über denen sich Staub wie eine flockige graue Decke ausgebreitet hatte. Die Luft roch schlecht und durch die zahllosen Ritzen und Spalten im Dach schien Sonnenlicht in stauberfüllten Streifen herein.
Und es gab keine Tür.
Es dauerte einen Moment, bis de Laurec es überhaupt merkte – aber nirgends in diesem gewaltigen, von frei stehenden Balken durchzogenen und mit Gerümpel vollgestopften Dachraum gab es einen Ausgang.
Sekundenlang drohte er abermals in Panik zu geraten. Diesmal kostete es ihn erhebliche Anstrengung, einen klaren Kopf zu behalten. Mühsam versuchte er sich zu erinnern, wo die Tür verborgen lag, durch die er hereingekommen war.
Aber auch sie war nicht mehr da.
Es war, als hätte es niemals eine Tür gegeben.
Und dann …
Es ging so unmerklich und langsam, dass Sarim mehr als eine Minute brauchte, es überhaupt zu sehen.
Aber als er es begriff, steigerte sich seine Furcht endgültig zur Panik.
Der Raum wurde kleiner.
Das Gefühl, sich zu bewegen, obwohl man keinen Körper hat.
Das Empfinden, zu stürzen, obwohl kein Raum da ist, durch den man stürzen kann.
Das Spüren, sich in einem irrsinnig schnell drehenden Karussell zu befinden, obgleich es kein Oben und Unten oder Rechts und Links gibt, durch das es sich drehen könnte.
Dann …
Eine Art Tunnel. Vielleicht ein Schlauch. Ein Schacht, gigantisch und auf unmögliche Weise in sich gewunden und verdreht, unendlich lang, von einem Ende der Ewigkeit zum anderen reichend, mit schwarzen Wänden aus erstarrter Zeit, durch den ich hindurchstürze, rasend schnell, millionen und abermillionen Mal schneller als das Licht, schneller als ein Gedanke. Trotzdem dauert der Sturz Ewigkeiten. Und schließlich, an seinem Ende, ein Licht, ein Schein, der so strahlend hell und von einer solchen Farbe ist, dass Worte nicht ausreichen, ihn zu beschreiben. Plötzlich ist das Wissen da, dass hinter diesem Licht etwas liegt, etwas Wunderschönes und Entsetzliches zugleich, etwas, das das Ziel jeglicher menschlichen Existenz sein muss und in das wir alle eines Tages eintauchen.
Aber ich erreiche es nicht.
Plötzlich ist ein Gesicht da, gigantisch und sonderbar vertraut – mein eigenes Gesicht. Und doch nicht. Älter. Weiser? Auf jeden Fall erfahrener. Härter auch. Und eine Stimme, die zu mir spricht, ohne zu sprechen. Dann greift irgendetwas nach mir, etwas Starkes und Düsteres, zerrt mich herum und wieder hinein in den finsteren Tunnel, den Weg zurück, den ich gekommen bin. Ich versuche mich zu wehren, denn ich will nichts mehr als dieses wunderschöne Licht berühren, der Verlockung nachgeben, die sich hinter ihm verbirgt, aber ich habe keinen Körper, um mich zu schlagen, keine Stimme, um zu schreien.
Mit ungeheurer Kraft werde ich zurückgerissen, fort von der himmlischen Helligkeit und hinab in – ja, wohin eigentlich?
Was ist das Gegenteil des Himmels?
Obwohl Mitternacht längst vorüber war und die Nacht dem nächsten Morgen näher als dem vorangegangenen Abend, war die Stadt noch voller Leben. Rowlf und sein unfreiwilliger Kampfgefährte waren länger als eine Stunde ziellos durch die Stadt geirrt, die Menschen, die hier im Zentrum trotz der späten Stunde noch unterwegs waren, als Deckung nutzend.
Frankenstein hatte wenig gesprochen und Rowlf spürte, wie schockiert er noch immer war. Niemand hatte es gewagt sie anzusprechen – was wohl weniger an ihrem verdreckten und abgerissenen Aussehen als an Rowlfs zur Zeit überaus schlecht gelaunten zweihundertsiebzig Pfund Lebendgewicht lag, mit denen er für sich und Frankenstein freie Bahn schuf.
Schließlich waren es Müdigkeit und die immer stärker werdenden Schmerzen in seinem Rücken, die ihn zwangen, eine Pause einzulegen.
Sie hatten die City durchquert und Zuflucht in einem kleinen, an drei Seiten von hohen Mauern umschlossenen Hinterhof gesucht, wo sich Rowlf mit einem unterdrückten Stöhnen auf einen Mauervorsprung sinken ließ.
»Ich kann nich’ mehr«, murmelte er. »Ich brauch’ … ’ne Pause. Nur’n Moment.«
»Sie brauchen etwas ganz anderes, mein Lieber«, sagte Frankenstein kopfschüttelnd. »Ziehen Sie die Jacke aus. Ich will mir Ihren Rücken ansehen.«
Er streckte die Hände nach Rowlf aus, aber der rothaarige Riese schlug seinen Arm mit
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