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Hexer-Edition 16: Stirb, Hexer!

Hexer-Edition 16: Stirb, Hexer!

Titel: Hexer-Edition 16: Stirb, Hexer! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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schlechte Gewissen. Nur zu gut wusste er, warum er gerufen worden war.
    »Ja, Daddy?«
    Frederic Murphy deutete auf die Schafskoppel. »Kannst du zählen, Bruce?«, fragte er mit falscher Freundlichkeit.
    Sein Sohn wandte sich dem Gattergeviert zu, in dem sich blökend der ganze Besitz der Familie Murphy drängte, hob die rechte Hand und fing tatsächlich an, die Schafe abzuzählen.
    »Eins, zwei, drei …«
    »Hör auf!«, unterbrach ihn Frederic Murphy mit kaum gebändigtem Zorn. »Du weißt so gut wie ich, dass es nicht siebenundzwanzig, sondern nur sechsundzwanzig sind.«
    »Nur sechsundzwanzig?« Bruce gab sich nach wie vor den Anschein der vollkommenen Unschuld. Erneut hob er seine Rechte und zählte weiter.
    »Vier, fünf, sechs …«
    Frederic Murphy setzte dem Spiel ein Ende, indem er dem Jungen eine schallende Ohrfeige versetzte, die diesen beinahe zu Boden torkeln ließ.
    »Das soll dich lehren, deinen Vater für dumm zu verkaufen!«
    Jetzt endlich gab sich Bruce geschlagen. Er fuhr sich über die schmerzende Wange, schniefte und verdrängte mühevoll die Tränen, die sich in seinen Augen zu sammeln begannen.
    »Es … es war nicht meine Schuld«, sagte er weinerlich. »Ich habe aufgepasst wie immer, aber trotzdem -«
    »- ist dir eins der Schafe weggelaufen!«
    »Es ist nicht weggelaufen. Es war auf einmal ganz einfach … verschwunden.«
    Frederic Murphy blickte zum Himmel empor, an dem die Sonne längst untergegangen war. Die Dämmerung hatte bereits ein Stadium erreicht, in dem sie jetzt sehr schnell der Nacht weichen würde. Und wenn es erst einmal völlig dunkel geworden war, ließ sich gar nichts mehr machen.
    »Komm«, sagte er zu seinem Sohn. »Wir suchen das Tier.«
    »Wir werden es nicht finden!«
    »Wenn wir hier rumstehen, ganz bestimmt nicht. Also komm.« Frederic Murphy wandte sich zum Gehen.
    Der Junge zögerte. »Jetzt ins Moor? In ein paar Minuten ist es stockfinster!«
    Frederic Murphy wusste, wo er seinen Sohn packen konnte. »Du hast doch nicht etwa Angst?«, fragte er mit gespielter Geringschätzung.
    »Ich habe nie Angst«, antwortete Bruce bestimmt.
    »Worauf wartest du dann noch?«
    Augenblicke später waren Vater und Sohn unterwegs. Ihre kleine Schaffarm lag am Rand des Grimpener Sumpfs, eines ausgedehnten Moorgebietes in der Grafschaft Devonshire. Die Landschaft war trostlos, öde und dünn besiedelt und ermöglichte ihren Bewohnern – Torfstechern, Moorbauern, Schafzüchtern – nur ein kärgliches Auskommen, das sie sich im Schweiße ihres Angesichts verdienen mussten. Frederic Murphy konnte ein trauriges Liedchen davon singen. Um den Schafen Weideplätze bieten zu können, die ihre gewiss nicht sonderlich anspruchsvollen Bedürfnisse zu befriedigen vermochten, war es erforderlich, mitunter tief ins Moor einzudringen. Dies brachte Gefahren mit sich, denn das Moor war tückisch und lag ständig auf der Lauer nach Ahnungslosen und Unvorsichtigen. Aber die Murphys kannten sich aus im Sumpf und wussten sehr wohl, welche Stellen sie meiden mussten, um ihr Leben nicht aufs Spiel zu setzen. Das galt für Vater und Sohn gleichermaßen und Frederic Murphy war sich darum auch völlig im Klaren darüber, dass Bruce keine Angst vor dem Moor selbst hatte. Was sein Sohn fürchtete, war vielmehr das, was seit einigen Wochen wieder im Moor umgehen sollte – das unheimliche Etwas, das …
    Frederic Murphy verdrängte ärgerlich die unsinnigen Gedanken. Er glaubte nicht an die Manifestation des leibhaftigen Bösen. Den größten Teil seines Lebens hatte er in dieser Gegend verbracht und in all der Zeit hatte es sich niemals gezeigt. Dass es nun nach so vielen Jahren sein höllisches Haupt wieder in die Höhe recken sollte, war nicht mehr als eine der vielen Legenden, die in den Köpfen der Alten wurzelten. Gewiss, auch er hatte in den Nächten der jüngsten Vergangenheit die grauenhaften Laute gehört, die aus den Tiefen des Sumpfes zum Haus herübergedrungen waren. Aber das Moor gebar viele Geräusche, für die sich fast immer eine natürliche Erklärung fand.
    Dennoch musste Murphy im Stillen zugeben, dass er sich nicht ganz wohl in seiner Haut fühlte. Während er mit seinem Sohn den Trampelpfad entlangschritt, der zur Südweide führte, waren seine Nerven gespannt wie selten. Man konnte nur noch wenige Meter weit sehen. Das Kieferngestrüpp rechts und links des Weges ragte wie die Gestalten von verkrüppelten Zwergen aus dem jetzt aufkommenden Bodennebel; unheimliche Gnome, die zahllose

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