Hexer-Edition 19: Der abtrünnige Engel
Leuten meine Überzeugung einzubläuen und es handelte sich auch nicht um einen Krieg nur zwischen Menschen. Die Shoggoten, die ich getötet hatte, waren Boten der GROSSEN ALTEN und ihrer Helfer. Wahrscheinlich wusste der Magierkreis des Ancen-Turmes nicht einmal, mit welchen Mächten er sich in seinem Hass gegen Conden eingelassen hatte. Er würde die Rechnung irgendwann präsentiert bekommen und sie bezahlen müssen. Bitter bezahlen. Und mit ihm alle Einwohner dieser bizarren Unterwelt, die dann noch am Leben waren.
»So sprecht doch, Herr, was ist mit euch?«, fragte Aneh fast flehend und schaute mich mit ihren großen Kinderaugen an. »Was bedrückt Euch? Hat es mit Eurer Gefährtin zu tun? Ihr braucht nur einen Befehl zu geben und wir werden den Ancen-Turm mit aller Kraft angreifen.«
»Und damit das endgültige Todesurteil über Sill sprechen, sofern sie überhaupt noch am Leben ist«, antwortete ich bitter. »Ganz abgesehen davon, dass es euer aller Tod wäre.« Ich gab mir einen inneren Ruck. Vielleicht würde ich meine Worte in den folgenden Tagen noch hundertfach bereuen, aber es schien keinen anderen Ausweg zu geben, so sehr ich mir auch das Gehirn zermarterte. »Also gut. Es scheint, als wären wir aufeinander angewiesen. Ich werde euch helfen, bis wir Sill befreit haben. Sobald dies geschehen ist, werdet ihr mir dafür helfen, wieder in meine Welt zurückzukehren. Alles weitere ist allein eure Sache.«
Aneh antwortete nicht. Es war auch nicht nötig.
Ich bin tot!, dachte Sill el Mot.
Sie musste tot sein, etwas anderes war unvorstellbar nach dem, was man ihr angetan hatte. In ihr wühlte immer noch der unvorstellbar grausame Schmerz, der die Prozedur begleitet hatte. Sie erinnerte sich vage an geistige Fühler aus abgrundtiefer Finsternis, die mit verzehrender Gier über ihren Geist hergefallen waren, ihre Gedanken in sich aufgesogen und ihre Seele wie einen Handschuh nach außen gestülpt hatten. Ihr Gehirn war wie ein Schwamm ausgepresst, ihre geheimsten Gedanken und Wünsche offenbart worden.
Dann, irgendwann, war der Schmerz übermächtig geworden und hatte ihr Bewusstsein hinweggefegt.
Aber sie war nicht gestorben. Etwas in ihr hatte die grausame Sondierung überstanden, ohne dass sie zu sagen vermochte, ob der Tod nicht das gütigere Schicksal gewesen wäre. Sie war eine andere geworden; ein Teil der Gestalt gewordenen Finsternis war wie ein Schatten in ihr zurückgeblieben und ein Teil von ihr geworden. Etwas, das immer stärker wurde.
Der Gedanke entglitt ihr fast sofort wieder. Mühsam versuchte sie sich zu erinnern, wo sie war, doch ihre verzweifelten Anstrengungen liefen ins Leere. Es war, als hätte jemand eine undurchdringliche Wand in ihrem Geist errichtet, die ihre Erinnerung blockierte.
Dann, von einer Sekunde zur anderen, rissen die Nebel, die sich um ihren Verstand gelegt hatten, ein wenig auf.
»Robert«, hauchte sie.
Sie wusste nicht, warum sie ausgerechnet diesen Namen nannte. Er bedeutete ihr nichts; es gab kein Gesicht dazu in ihrer Erinnerung, kein Bild, kein Gefühl. Es war nur ein Name.
Und doch …
Er war wichtig.
Stöhnend richtete sie sich auf. Der Schmerz war ein wenig abgeklungen, erwachte durch die Bewegung jedoch sofort zu neuem Leben. Dennoch zwang sie sich mit fast übermenschlicher Kraft die Augen zu öffnen. Im ersten Moment sah sie nur Nebelschlieren vor ihren Augen wallen, aus denen sich langsam das Gesicht eines Mannes schälte. Es war vom Alter gezeichnet und tiefe Falten hatten sich hineingegraben. Der Blick seiner Augen aber war klar, von fast jugendlichem Feuer erfüllt. Er lächelte auf die unnachahmlich warme Art, wie nur alte Leute zu lächeln vermochten.
»Bleibt liegen, Herrin«, sagte er mit krächzender Stimme. »Ihr müsst euch noch schonen.«
Herrin!
Dumpf hallte das Wort in ihrem Geist wider. Es besaß einen gar nicht mal so unangenehmen Klang.
Im nächsten Moment erschrak sie über diesen Gedanken, doch zugleich spürte sie etwas in sich erwachen, das die ihr entgegengebrachte Ehrfurcht genoss. Die letzte Erinnerung, über die sie verfügte, war die an kräftige Hände, die sie als Gefangene von irgendetwas (oder jemandem?) fortschleppten, bevor der verzehrende Schmerz über sie hereingebrochen war.
Und nun nannte man sie Herrin. Grundlegende Veränderungen mussten sich während ihrer Bewusstlosigkeit zugetragen haben. Sie streifte die Hände des Alten ab, die sie sanft auf das Lager zurückdrücken wollten, richtete sich auf
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