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Hexer-Edition 19: Der abtrünnige Engel

Hexer-Edition 19: Der abtrünnige Engel

Titel: Hexer-Edition 19: Der abtrünnige Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Schlag ein.
    Ich setzte mich auf, drückte Anehs Hand mit sanfter Gewalt beiseite und sah mich um. Wir befanden uns in einer kleinen, nicht sehr luxuriös ausgestatteten Kammer. Durch ein schmales Fenster sickerte Licht herein und an den Wänden hingen kleinere, sorgsam geschliffene und gefasste Ausgaben des blauen Kristalles auf Anehs Brust, die milde Helligkeit verbreiteten.
    »Ihr seid wach«, sagte Aneh lächelnd. »Gut. Wir … fürchteten um Euer Wohl.«
    Ich ignorierte ihre Worte, schwang meine Beine von der Liege, auf die ich gebettet worden war, und stand mit einem Ruck auf. »Was ist geschehen?«, fragte ich, in bewusst kühlem, forderndem Ton.
    Aneh fuhr fast unmerklich zusammen und senkte den Blick. »Ein … ein Angriff des Ancen-Dämons, Herr«, sagte sie. »Verzeiht mir. Es war meine Schuld. Ich war unaufmerksam. Wenn Ihr mich bestrafen wollt, so tut es.«
    Es dauerte einen Moment, bis ich begriff – Aneh war nicht niedergeschlagen oder verängstigt, weil einer ihrer Brüder gestorben war, sondern weil der Angriff mich in Gefahr gebracht hatte!
    Ein eisiger Schauer lief über meinen Rücken. Während des gestrigen Tages hatte ich es fast als angenehm empfunden, von diesen Leuten als eine Art Halbgott verehrt zu werden – wenn ich auch noch immer nicht ganz genau wusste, warum eigentlich.
    Jetzt erfüllte mich der Gedanke nur noch mit Schrecken.
    »Wie viele sind tot?«, fragte ich.
    Aneh zögerte, atmete hörbar ein und raffte all ihre Kraft zusammen, um meinem Blick stand zu halten. »Vier.«
    »Vier?« Ich erschrak. Das war fast ein Viertel des Magierkreises, ein Viertel des einzigen Schutzes, der Conden gegen die Angriffe des Ancen-Turmes geblieben war.
    Ich bemerkte, dass ich in genau den Bahnen zu denken begann, in die Aneh meine Gedanken lenken wollte, und drehte mich mit einem zornigen Ruck herum. Was hier geschah, war schrecklich; ein entsetzliches Blutbad, das seit einem Jahrtausend anhielt und wider jede Natur war. Aber es ging mich nichts an. Ich durfte mich nicht in die Angelegenheiten dieser Leute mischen, auch wenn dieses Nicht-Einmischen den Tod Hunderter, vielleicht Tausender Conden- und Ancen-Leute bedeutete! Zum Teufel, ich konnte nicht überall auf der Welt Feuerwehr spielen, wo ich zufällig einen Brand entdeckte! Ich musste hier heraus und nach Hause, zurück nach London, um einen größeren Brand zu löschen. Einen, der vielleicht die ganze Welt in Flammen setzen würde.
    »Aneh«, begann ich stockend, sprach aber nicht weiter, sondern drehte mich wieder um und sah die jugendliche Magierin mit einem um Verzeihung heischenden Lächeln an.
    »Ihr braucht nichts zu sagen, Herr«, sagte sie traurig. »Ihr habt Eure Entscheidung getroffen und es steht mir nicht an, sie zu kritisieren. Ihr habt uns aus einer schrecklichen Gefahr gerettet und schon dafür schulden wir Euch mehr, als wir jemals einlösen können. Wir werden mit den Ancen-Leuten auch so fertig.« Sie senkte den Blick. »Oder auch nicht«, fügte sie nach einer winzigen Pause hinzu.
    Ihr verdammtes Herr- Gesülze rührte an einem Punkt tief in meinem Inneren und ich war mir nicht einmal sicher, ob sie nicht genau das mit ihrer übertrieben dargestellten Unterwürfigkeit erreichen wollte. Einen Moment lang wurde der Wunsch, sie an den Schultern zu packen und anzuschreien, dass sie damit aufhören sollte, übermächtig in mir, doch ich kämpfte dagegen an und ballte nur in stummer Verzweiflung die Fäuste.
    Natürlich konnte Aneh keine Forderungen an mich richten. Aber sie verstand es mir mit jedem ihrer Worte die Schwere meiner Entscheidung bewusst zu machen.
    Eine Entscheidung über Leben und Tod tausender Menschen.
    Eine Entscheidung, die ich nicht treffen konnte. Es sei denn, ich wäre wirklich der Gott gewesen, den sie in mir sah. Gequält verzog ich das Gesicht.
    »Was ist mit Euch, Herr?«, fragte Aneh erschrocken, die meine Mimik offensichtlich falsch deutete.
    »Es ist nichts«, presste ich hervor und hätte fast über meine eigenen Worte gelacht. Sie waren die wohl größte Untertreibung des Jahrhunderts. Was gehen mich diese Menschen an?, hämmerte ich mir immer wieder ein. Parallelen zu den Missionsversuchen der Kirche drängten sich mir auf. Wie oft hatten Priester versucht, heidnischen Primitivkulturen den Frieden zu bringen, oftmals sogar mit Gewalt, und hatten nichts als noch schlimmere Verwüstungen bewirkt.
    Doch ich wusste, dass dieser Vergleich gewaltig hinkte. Ich war nicht hierher gekommen um den

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