Hexer-Edition 19: Der abtrünnige Engel
würde dem Mann trotzdem weiterhin zu helfen und packte sein Schwert fester. Eher würde er versuchen sie zu töten, als dem Befehl zu gehorchen. Er hatte sich auf das Bündnis mit ihr eingelassen, um seine eigene Macht zu stärken, nicht um sein Leben für ihre Pläne zu opfern. Und es wäre Selbstmord gewesen, dem Fremden mit der weißen Haarsträhne noch einmal beizustehen.
Doch Mereda verlangte nichts Derartiges. Sie nickte nur kurz, ohne den Blick von der Lichtung abzuwenden. Zengsu schauderte vor der Kälte, die er in ihren Augen las. Die Zeit für einen offenen Widerstand war noch nicht reif und an dem Ausgang eines Kräftemessens zum gegenwärtigen Zeitpunkt konnte es nicht die geringsten Zweifel geben. Wenn er sie aus dem Weg räumen wollte, konnte er dies nur durch einen Anschlag aus dem Hinterhalt erreichen. Dass sie sein jetziges Versagen so einfach hinnahm, lag nur daran, dass sie sich zu sehr auf den Kampf konzentrierte, um von ihm mehr als nur flüchtige Notiz zu nehmen.
Es würde auch für Zengsu einige Probleme bringen, wenn der Fremde starb. Der Conden-Dämon musste Mereda hassen und vielleicht war er der Einzige, der die Hexe im offenen Kampf bezwingen konnte. Anderseits wusste er nicht, ob der Inguré es wirklich tun würde.
Aufmerksam beobachtete Zengsu, was auf der Lichtung geschah. Ihm entging nicht, dass zahlreiche Ranken scheinbar von selbst ihr Ziel – den fremden Teufel – verfehlten und zu Asche zerfielen. Die Luft um Mereda schien vor magischer Energie zu knistern. Die Hexe griff auf ihre eigene Art in den Kampf ein – und wieder lief ein kalter Schauer über Zengsus Rücken, als er spürte, wie mächtig die ehemalige Kreisversteherin wirklich war.
»Seht!«, stieß er hervor und deutete mit dem Arm auf die Lichtung. Mereda warf ihm einen zornigen Blick zu, ohne in ihrer Konzentration nachzulassen. Zengsu zuckte zurück und senkte betont schuldbewusst den Blick.
Er sah, wie sich die Dornenranken binnen weniger Sekunden zu einem Wall auftürmten, der ihm die Sicht auf die drei Gestalten nahm. Dies musste das Ende für sie bedeuten, wobei es ihm noch am meisten um Uscham Leid tat. Von dem alten Sree hatte er sich am meisten Unterstützung bei der Verwirklichung seiner Pläne erhofft, während Madur und der Fremde unberechenbare Faktoren darstellten, deren Tod ihm nicht einmal allzu ungelegen kam.
Unsicher musterte er Mereda. Schweißtropfen perlten auf ihrer Stirn und ihr Blick schien in unendliche Fernen gerichtet. Sie war so in Trance versunken, dass sie nichts mehr um sich herum wahrnahm. Wenn er ihr jetzt sein Schwert zwischen die Rippen rammte, würde sie es wahrscheinlich erst merken, wenn alles zu spät war.
In diesem Augenblick schreckte die Hexe auf und wandte sich ihm zu.
»Es ist an der Zeit mit dem Aufstand zu beginnen«, sagte sie mit harter Stimme. »Gib den Befehl, Conden sofort anzugreifen. Es ist der leichtere Gegner. Anschließend werden wir uns Ancen mit vereinter Macht entgegenstellen.«
Zengsu starrte sie einige Sekunden lang überrascht an, dann nickte er und eilte ohne ein weiteres Wort davon.
In stummer Verzweiflung schloss ich die Augen und kämpfte gegen das Gefühl der Resignation an. Meine Hände begannen zu zittern. Ich krampfte die Finger um den Knauf des Stockdegens, als ob ich ihn zerbrechen wollte.
»Bei allen Göttern, tu etwas«, keuchte Madur neben mir und vergaß sogar die achtungsvolle Anrede. Seine Worte rissen mich aus der Erstarrung.
Die unheimliche Woge, die sich in einem wie mit dem Zirkel gezogenen Kreis von wenigen Schritten Durchmesser um uns herum erstreckte, hatte inzwischen mehr als Mannshöhe erreicht. Es schien, als hätte sich am hellen Tag die Nacht auf uns herabgesenkt und wäre zu unheiligem Leben erwacht, um uns zu verschlingen.
»Das Zentrum!«, schrie Uscham. »Ihr müsst die Urzelle vernichten!«
Verständnislos starrte ich ihn an. Dann, ganz langsam, begann ich zu begreifen, was er meinte und mir vorher schon mitzuteilen versucht hatte.
Und ich erkannte die hauchdünne Chance, die sich uns noch bot.
Erneut schloss ich die Augen und konzentrierte mich mit aller Kraft, die ich noch aufzubringen imstande war. Verbissen tastete ich nach der Macht in meinem Inneren. Ich war bis zur Grenze meines Leistungsvermögens erschöpft und wusste selbst nicht, was mich immer noch auf den Beinen hielt. Wieder und wieder liefen meine Bemühungen ins Leere. Die Angst war zu stark, als dass ich mich noch so konzentrieren
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