Hexer-Edition 19: Der abtrünnige Engel
doch schon einmal wegen Mordes verhaftet, aber dann wieder laufen gelassen.« Er lachte rau. »Das wird diesmal nicht mehr passieren. O nein, ganz bestimmt nicht. Vorwärts jetzt.«
Verzweifelt blickte ich mich nach einer Fluchtmöglichkeit um. Es gab keine. Selbst ohne die Handschellen wäre meine Lage aussichtslos gewesen. Es erforderte nicht annähernd so viel Zeit, einen Zeigefinger zu krümmen, wie ich gebraucht hätte, auch nur einen der Männer zu erreichen. Und aus dieser Distanz wäre es das reinste Kunststück gewesen, mich zu verfehlen.
Aber ich gab nicht auf. Mit aller Kraft, die ich aufzubringen imstande war, konzentrierte ich mich auf die Kräfte in meinem Inneren. Der Gedanke, was mit mir passieren würde, wenn mein Versuch fehlschlug, machte die Konzentration fast unmöglich. Ich bemühte mich jeden störenden Gedanken aus meinem Gehirn zu verbannen, was sich als fast unmöglich erwies.
Die beiden Polizisten wichen meinem Blick aus, was eine Hypnose noch schwerer machte. Gebannt starrte ich auf einen Punkt dicht vor ihnen. Eigentlich hätte jetzt an dieser Stelle die Illusion eines Monstrums entstehen sollen, gegen das sich selbst Cthulhu wie ein possierliches Kuscheltierchen ausgenommen hätte.
Hätte …
Es geschah nichts. Rein gar nichts.
Im ersten Moment war ich zu erschrocken, um überhaupt zu begreifen, was mit mir vorging. Und als ich es begriff, wünschte ich, überhaupt nie nach einer Erklärung gesucht zu haben.
Ich hatte meine Hexerkräfte verloren!
Das Bild hätte einem apokalyptischem Gemälde von Hieronymus Bosch entstammen können.
Auf dem Tisch in einem abgelegenen und seit Monaten verschlossenen Zimmer von Andara-House lag eine Gestalt. Sie war in einen maßgeschneiderten, dunklen Anzug gekleidet. Bis zu den Schultern hinauf sah das Wesen völlig menschlich aus.
Aber es war kein Mensch, wie schon ein flüchtiger Blick zeigte.
Der Kopf des Mannes lag mehrere Hand breit vom Rumpf entfernt, doch kein Tropfen Blut quoll aus der Wunde. Wo sich Knochen, Fleisch und Adern hätten befinden müssen, ragte nur ein sinnverwirrendes Durcheinander von farbigen Drähten, Metallstäben und Zahnrädern aus dem mit künstlicher Haut überzogenen Torso hervor. Die meisten Drähte waren bereits miteinander verbunden.
Erschöpft wischte sich Howard mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. Der Raum war von träge wallenden Rauchschwaden erfüllt, die in seinen Augen brannten, doch er nahm es kaum wahr.
Seine Hände zitterten, als er nach den zwei letzten kunststoffüberzogenen Drähten griff und die blanken Kupferenden zusammenbrachte. Funken sprühten auf, es gab einen Knall und der durchdringende Gestank nach verbranntem Ozon breitete sich aus. Eines der Augenlider des abgetrennten Kopfes klappte hoch. Der Augapfel bewegte sich mit leisem Summen und kam in grotesk verdrehter Stellung zur Ruhe.
Howard ließ die Drähte los und hämmerte wütend mit der Faust auf den Tisch.
»Ich schaffe es nicht. Zur Hölle mit dem verdammten Ding!«, fluchte er. Die Erschöpfung klang in seiner Stimme mit.
Rowlf erhob sich von dem Stuhl in einer Ecke des Zimmers, auf dem er die ganze Zeit über schweigend gesessen hatte, und öffnete das Fenster, bevor er an den Tisch trat. Einige Sekunden lang starrte er auf den metallenen Körper herab, dann schüttelte er den Kopf.
»Ich hätt’ wohl doch nich so fest draufhaun soll’n«, murmelte er. »Aber wer konnt denn ahnen, dass wir dat Ding noch ma brauch’n würden? Am besten hol’n wir den Lausdreck aus’m Knast raus und lassen ihn den Blechkopp zusammenflick’n.«
Sarim de Laurec, ehemaliger Puppet-Master des Templerordens, hatte die Roboterkopie Robert. Cravens hergestellt, um sie Verbrechen begehen zu lassen, die er dem Hexer in die Schuhe schieben konnte. Rowlf hatte das Monstrum vor fast fünf Monaten durch einen Trick zerstört. Offensichtlich etwas zu gründlich, wie sich jetzt herausstellte.
Nach langwierigen Auseinandersetzungen mit der Polizei hatte Howard erwirkt, dass der übrig gebliebene Blechhaufen nicht beschlagnahmt wurde. Bis zu dieser Nacht hatte der Robotkörper unangetastet in dem abgeschlossenen Zimmer gelegen.
Howards Plan hörte sich ebenso einfach an, wie seine Durchführung in Wirklichkeit schwierig war. Er wollte das Monstrum reparieren und öffentlich auftreten lassen. Wer auch immer Robert entführt hatte, würde sicherlich sehr überrascht reagieren, wenn sein Gefangener plötzlich putzmunter durch die Gegend
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