Hexer-Edition 20: Hochzeit mit dem Tod
wünschte.
Für einen sehr kurzen, aber entsetzlichen Augenblick glaubte ich mich jäh in meinen Traum zurückversetzt.
Die St. Paul’s Cathedral! Ausgerechnet sie! Hörte denn der Wahnsinn niemals auf?
Ich wurde mir der Tatsache bewusst, dass ich schon ziemlich lange in der Kutsche saß und zögerte auszusteigen. Mit einem Ruck stieß ich die Tür auf, versuchte einen möglichst unbefangenen Ausdruck auf mein Gesicht zu zaubern und stieg aus dem Wagen.
Ein unruhiges Murmeln lief durch die Menge, die meine bezahlten Helfer zurückhielt. Da und dort blitzte das Karbidlicht eines Fotografen auf, denn auch die Klatschpresse hatte es sich nicht nehmen lassen zu kommen; ein paar Blumensträuße flogen in meine Richtung.
Aber ich beachtete all dies nicht, sondern eilte fast im Sturmschritt über den ausgerollten roten Teppich und auf Mrs. Winden zu, die mich bereits erwartete. Nach Howards unerwartetem Ausfall übernahm sie Grays Rolle als Brautführer, der sich wiederum bereit erklärt hatte, Priscylla zu führen. Aber auch diese protokollarischen Feinheiten waren mir im Moment herzlich egal.
»Was geht hier vor?«, fauchte ich, so laut, dass Mrs. Winden erschrocken zusammenfuhr und mir einen warnenden Blick zuwarf.
»Was zum Teufel bedeutet das?«, fragte ich mit einer wütenden Kopfbewegung auf die Kirche. Allerdings etwas leiser als beim ersten Mal. Es war ja nun wirklich nicht nötig, dass die Scharen von Neugierigen mitbekamen, was hier vorging. Außerdem wäre ich froh gewesen es selbst zu wissen.
»Was soll das, Mary?«, fragte ich zum dritten Mal. »Ich wollte nicht hier heiraten, das wissen Sie genau! Wer hat angeordnet, dass die Trauung hier stattfinden soll?«
»Miss Priscylla«, antwortete Mary.
»Priscylla?« Ich starrte sie ungläubig an. »Aber -«
»Es war ihr sehnlichster Wunsch«, unterbrach mich Mary. »Ich konnte ihn ihr einfach nicht abschlagen; und Dr. Gray auch nicht.«
»Gray?«, wiederholte ich stirnrunzelnd. »Der gehört also auch zu diesem kleinen Komplott, wie?«
»Seien Sie nicht zu streng, Robert«, sagte Mary. »Das arme Ding hat sich so gefreut, in der St. Paul’s Cathedral heiraten zu dürfen. Und als Sie dann überraschend beschlossen haben in diese komische Kapelle zu wechseln, war sie unglaublich enttäuscht.«
Sie sah mich fast flehend an. Natürlich – wir hatten schon lange beschlossen, wenn überhaupt, dann hier zu heiraten. Und ich musste gestehen, dass ich nicht einmal auf die Idee gekommen war, es könne Priscylla irgendetwas ausmachen, stattdessen in einer kleinen Kapelle mit dem Mann ihrer Träume liiert zu werden. Statt Wut empfand ich mit einem Male heftige Gewissensbisse.
»Warum hat sie denn nichts gesagt?«, murmelte ich hilflos.
»Weil sie Sie nicht beunruhigen wollte«, antwortete Mary. »Aber sie war so enttäuscht, dass es einfach nicht mehr mit anzusehen war.«
»Und da sind Sie auf die famose Idee gekommen, hinter meinem Rücken doch noch alles zu ändern«, vermutete ich.
Mary grinste. »Genau. Sie werden sehen, es wird einfach wundervoll, Robert. Und nun seien Sie kein Spielverderber und lassen Sie dem Kind die Freude.«
Spielverderber?
Gott, ich war der Letzte, der Priscylla irgendetwas abschlagen würde. Aber diese Kirche war …
Ich zwang mich den Gedanken nicht zu Ende zu denken und schalt mich im Stillen einen Narren. Es waren nur Träume, nicht mehr. Und bisher waren sie immer nur gekommen, wenn ich allein war. Jetzt war ich inmitten von Menschen und nicht wenige davon waren meine Freunde.
Nein, ich war in Sicherheit.
Wenigstens redete ich es mir ein.
Mary schien mein Schweigen reichlich falsch zu deuten, denn sie lächelte triumphierend und sagte: »Sehen Sie, ich hatte Recht. Es macht Ihnen nichts aus.«
»Nein«, murmelte ich. »Fast gar nichts.«
Dann geschah etwas, was meine Gedanken schlagartig in andere Bahnen lenkte: Priscylla kam.
Mrs. Winden hatte darauf bestanden, dass wir in getrennten Kutschen zur Kirche fuhren, was mich in den letzten Tagen zu etlichen spitzen Bemerkungen veranlasst hatte. Aber als der schneeweiße Vierspänner vorfuhr und Priscylla in Begleitung Grays ausstieg, dankte ich ihr im Stillen dafür.
Und nicht nur dafür. Ich wusste ja am besten, wie wenig Zeit sie gehabt hatte, Pri für diesen Moment herauszuputzen – alles in allem nicht einmal mehr eine Stunde. Aber sie hatte in dieser Zeit wahre Wunder bewirkt.
Priscylla sah umwerfend aus.
Sie trug ein weißes, mit winzigen silbernen Blumen
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