Hexer-Edition 20: Hochzeit mit dem Tod
beherrschter Stimme. »Aber er hat gesagt, ich soll dableibn, um auf dich aufzupassn.«
»So«, sagte ich. »Hat er das?«
»Das hat er«, bestätigte Rowlf wütend. »Aber wenns dir nich passn tut, dann musstes nur sagn. Ich geh gern.«
Meine groben Worte taten mir Leid. Ich schüttelte den Kopf, sah Rowlf beinahe traurig an und rettete mich in ein verlegenes Lächeln.
»Natürlich nicht«, sagte ich. »Entschuldige, Rowlf. Es … es tut mir Leid.«
»Ja«, fauchte Rowlf. »Das sollt es auch.« Plötzlich seufzte er. »Aber ich kann dich sogar verstehn, Kleiner. Ehrlich, ich … ich täts nich glaubn tun, wenn ichs nich mit mein eigenen Augn gesehen hätt. Ich … ich versteh einfach nich, was in den H.P. gefahrn is.«
»Ich auch nicht«, sagte ich, schon wieder etwas schärfer. »Und ich will es auch gar nicht wissen.«
Rowlf fuhr zusammen wie unter einem Schlag. »Er … er hat gesacht, ich soll dir sagn, dass es ihm Leid tut«, murmelte er ohne mich anzusehen. »Und dasser dir später mal alles erklärn werden tut.«
Ich antwortete nicht, sondern drehte mich wortlos um und ging hinaus.
Es beginnt, wisperte die Stimme in der Unendlichkeit. Sie war alt. Tausend Mal älter als diese Welt, so alt wie das Universum. Vielleicht älter. Und sie war hart. Kein Mitleid, keine Furcht, keine Regung schwang in ihr. Sie hätte auch den Untergang einer Welt mit der gleichen Kälte und Sachlichkeit festgestellt. Vielleicht würde sie es tun, in nicht mehr allzu ferner Zeit, seihst in den lächerlichen Zeitbegriffen der Menschen gesprochen.
Ich weiß, wisperte eine andere Stimme. Sie war nicht annähernd so mächtig und weise wie die erste, aber sie war menschlich. Sorge schwang darin mit. Angst. Und noch etwas. Es hat schon vor langer Zeit begonnen.
Und es wird nie enden, fügte die erste Stimme hinzu. Wird er es schaffen?
Sekunden vergingen, ehe die zweite Stimme antwortete. Ich weiß es nicht. Aber ich hoffe es. Wenn nicht, war alles umsonst.
Du weißt, dass du ihm nicht helfen darfst, sagte die erste Stimme.
Aber das habe ich doch bereits getan.
Dann bete zu deinen Göttern, dass deine Hilfe gut war, erwiderte die Titanenstimme.
Die menschliche Stimme antwortete nicht mehr. Schweigen breitete sich wieder in der Unendlichkeit aus. Die Zeit verging.
Unerbittlich.
Mein Herz schlug schnell und hart wie das eines Primaners, der seinem ersten Rendezvous entgegensieht. Und wenn ich ehrlich sein soll – ich fühlte mich auch so: Meine Handflächen waren feucht. Meine Knie zitterten. Schweiß bedeckte meine Stirn und rann in meinen Kragen, obwohl es geradezu gotterbärmlich kalt war. Mein Gaumen war so trocken, als hätte ich tagelang gedurstet.
Aber gut – ich hatte einen Grund, nervös zu sein.
Schließlich heiratet man nicht alle Tage.
Die Kutsche hatte gehalten, aber ich zögerte noch die Tür zu öffnen und auszusteigen. Vielleicht war es einfach das absurde Bedürfnis den Moment zu genießen, vielleicht auch einfach Angst – auf jeden Fall vergingen Sekunden, bis ich mich vorbeugte. Und auch dann öffnete ich noch nicht die Tür, sondern schlug erst den Vorhang beiseite, der vor dem Fenster hing.
Und es war wohl auch sehr gut, dass ich es tat.
Wäre ich nämlich einfach ausgestiegen, hätten vielleicht die versammelten Hochzeitsgäste den Ausdruck puren Entsetzens gesehen, der plötzlich auf meinem Gesicht lag.
Der Anblick traf mich wie eine schallende Ohrfeige.
Ich erinnerte mich sehr gut, Dr. Gray und Howard ausdrücklich aufgetragen zu haben, eine ganz bestimmte, relativ kleine Kapelle im Süden Londons für die Trauungszeremonie vorzubereiten. Ich war sogar zusammen mit Priscylla dort gewesen, hatte mit dem Pfarrer und dem Küster gesprochen und ein erkleckliches Sümmchen in den Opferstock geworfen, damit auch ja alles klappte.
Nun, was die Vorbereitungen anging – sie hatten geklappt. Das Portal der Kirche stand weit offen und war über und über mit Blumen geschmückt. Ein dunkelroter Teppich reichte von der Stelle, an der die Kutsche gehalten hatte, bis ins Innere der Kirche, die Glocken läuteten und eine Anzahl unauffällig gekleideter, aber ausnahmslos sehr kräftig geratener Herren hielt die Schaulustigen zurück, die gleich in Scharen gekommen waren, um zu sehen, wie Londons vermögendster Junggeselle heiratete.
Nur – die Kirche war nicht die Kirche.
Es war die St. Paul’s Cathedral.
Von allen Kirchen Londons so ungefähr die Letzte, in der ich zu heiraten
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