Hexer-Edition 20: Hochzeit mit dem Tod
Hastig wandte ich mich um, trat zu der Tür aus massiven Eichenbohlen und hämmerte mit der Faust dagegen. Shadow zog mich zurück und liebkoste erneut mein Gesicht. Noch bevor ich etwas sagen konnte, presste sie ihre Lippen auf meinen Mund und wieder erlosch mein Widerstand fast schlagartig.
»Gehen wir erst einmal ins Wohnzimmer«, sagte sie, als wir uns nach einigen Minuten schwer atmend wieder voneinander lösten. Sie führte mich zu einer kleinen Tür im Hintergrund der Kammer, die mir zuvor nicht aufgefallen war. Erneut zerbrach die Wirklichkeit um mich herum, als wir hindurchtraten.
Wir befanden uns im Wohnzimmer meines Hauses am Ashton Place 9!
Von ohnmächtigem Zorn erfüllt starrte Nemo das riesige turmartige Gebäude an, in dem sich seine Gefährten befanden. Selbst inmitten dieser bizarren Stadt, in der sich hunderte verschiedener Baustile aneinander reihten, wirkte es noch deplatziert. Nicht nur, dass der eckige Klotz keine der üblichen Verzierungen aufwies, seine Winkel schien auf die gleiche unmögliche Art ineinander verformt, wie der Stollen, der zu dem Tor geführt hatte, als hätte sich die Realität um eine Winzigkeit ins Absurde hinein verschoben.
Ein instinktives Gefühl warnte ihn. Es gelang ihm gerade noch rechtzeitig sich hinter eine Hauswand zu ducken, als Es aus einer Nebenstraße auf das Gebäude zutrat. Nemos Herz schien einen schmerzhaften Schlag zu überspringen, als er die zweite, kleinere Gestalt erkannte, die dem Shoggoten folgte.
Es war Howard Lovecraft, der Mann, auf den er alle Hoffnungen gesetzt hatte. Auch er hatte seinen freien Willen verloren, wie seine ungelenken Bewegungen und der starre Ausdruck seines Gesichtes deutlich verrieten.
Der Anblick der willenlosen Marionette peitschte blinden Hass in Nemo hoch. Ohne bewusstes Zutun kroch seine Hand zum Griff des Revolvers, der immer noch in seinem Gürtel steckte. Es hatte es nicht für nötig befunden, ihm die Waffe abzunehmen. Wozu auch? Ein Mensch, der nicht einmal einen unabhängigen Gedanken zu fassen vermochte, konnte keine Waffe ziehen, und selbst wenn es ihm aufgrund irgendwelcher Umstände gelingen sollte, konnte eine solche Waffe dem Shoggoten nicht gefährlich werden.
Dieser Gedanke ernüchterte Nemo ein wenig. Gegen einen solchen Gegner war der Revolver nicht mehr als ein Kinderspielzeug. Er zog seine Finger vom Griff zurück. In hilflosem Zorn ballte er die Hände zu Fäusten und sah regungslos mit an, wie Howard dem Shoggoten mit den steifen, ungelenken Schritten eines Menschen, der einem fremden Willen gehorchte, in das Gebäude folgte.
Auch dann verharrte er noch minutenlang in seiner Deckung. Auch wenn er ahnte, dass ein Wesen wie Es nicht allein auf eine optische Wahrnehmung angewiesen war, verlieh die schützende Hauswand Nemo doch ein wenig trügerische Sicherheit. Der Shoggote musste seine Flucht längst bemerkt haben, doch er kehrte nicht zurück, um die Verfolgung aufzunehmen.
Es gab einen Grund dafür, doch Nemo unterdrückte den Gedanken sofort mit aller Kraft. Wenn er zutreffen sollte, war von vornherein alles verloren. Howard war einst ein Master des Templerordens gewesen und seine magische Kraft mochte ausreichen, das Unmögliche wahr werden zu lassen. Schon einmal hatte Nemo erlebt, wie Lovecraft die Grenzen der Zeit niedergerissen hatte. Schlimmstenfalls mochte er fähig sein, auch Nyarlathotep aus seinem Gefängnis hinter den Grenzen der Zeit zu befreien.
Es konnte noch tausend andere Gründe geben, warum Es sich nicht um seinen entflohenen Gefangenen kümmerte, und Nemo hoffte mit aller Inbrunst, dass einer von ihnen zutraf.
Dann durchzuckte ihn ein anderer Gedanke. Howard hatte ihm Hilfe versprochen, aber er hatte auch versprochen, nicht allein zu kommen, sondern Robert Craven mitzubringen. Der Gedanke an den Sohn Roderick Andaras erfüllte Nemo mit zwiespältigen Gefühlen. Craven hatte das magische Erbe seines Vaters angetreten, aber noch nicht gelernt, es völlig zu beherrschen. Auch wenn er schon mehr als einmal bewiesen hatte, dass er unter den gegebenen Umständen ein würdiger Nachfolger Andaras war, erschien er Nemo manchmal noch zu ungestüm und leichtsinnig. Einfach ausgedrückt: noch ein wenig grün hinter den Ohren.
Die Lage war mehr als verzwickt.
Craven mochte sich ebenfalls in dieser mysteriösen Stadt aufhalten, und könnte ihm nach Howards Niederlage vielleicht als einziger Mensch helfen. Wenn er sich aber auf die Suche nach dem Hexer machte, bestand die Gefahr,
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