Hexer-Edition 20: Hochzeit mit dem Tod
ihm die vorangegangenen Ereignisse wieder ein. Die Geschehnisse liefen noch einmal vor seinem inneren Auge ab und mündeten schließlich in seinen Kampf gegen den riesigen Shoggoten. Von diesem Augenblick an hatte der Albtraum begonnen. Nemo bäumte sich auf und diesmal entrang sich ein würgendes Stöhnen seiner Kehle. Dann riss er die Augen auf.
Was er zu träumen geglaubt hatte, war keine Wahnvorstellung gewesen. Wie mit gierigen Krallen griff der Wahnsinn nach ihm. Glühende Lava schien durch seine Adern zu rinnen und seinen Körper zu verbrennen, als Nemo das ganze Ausmaß der Gefahr bewusst wurde, die er selbst mit heraufbeschworen hatte.
Er befand sich in einem riesigen Raum. Es gab weder ein Fenster, noch eine erkennbare Lichtquelle; und doch war es nicht dunkel. Das Licht schien unmittelbar aus den kristallenen Wänden zu dringen. In der Mitte des Raumes stand eine mehr als vierfach mannshohe Figur, die geradewegs dem Albtraum eines Wahnsinnigen entsprungen zu sein schien. Am ehesten ließ sie sich mit einem Drachen vergleichen, aber dieser Vergleich musste jedem noch so Furcht erregenden Gnom, Drachen und Tatzelwurm irdischer Mythen schmeicheln. Die Ähnlichkeit beschränkte sich auf ein Paar überdimensional großer Schwingen und einen weit vorgereckten Schädel, dessen aufgerissenes Maul den Blick auf zwei Reihen furchtbarer Reißzähne freigab. Der Körper war der eines Giganten aus Gestalt gewordener Nacht, gespickt mit messerscharfen Klauen und hornigen Stacheln und geschützt durch schwarz glänzende Panzerplatten. Mehr als ein Dutzend meterlanger, schuppenbedeckter Tentakel schienen mitten in der Bewegung erstarrt zu sein.
Nemo stieß einen unartikulierten Schrei aus und prallte zurück. Eine Sekunde später erkannte er, dass ihn nichts weiter als ein lebloses Standbild genarrt hatte. Er wischte sich mit der Hand über die Augen und stieß scharf die Luft aus.
Um die Statue des Giganten herum saßen seine Mitarbeiter, auch die Männer der NAUTILUS, auf dem Boden. Mit geöffneten Augen starrten sie ins Leere, wiegten ihre Oberkörper im Takt einer unhörbaren Musik und gaben Geräusche von sich, von denen Nemo nicht geglaubt hätte, dass menschliche Stimmbänder sie erzeugen könnten. Schaurig hallten die Laute von den Wänden wieder. Es waren keine Worte der menschlichen Sprache, sondern eine scheinbar willkürliche Aneinanderreihung zungenbrechender Vokale und Konsonanten, deren alleiniger Klang Nemo einen eisigen Schauer über den Rücken jagte.
»Iä! Iä! Nar’ghjr grlaor-nya gnä gnä Iä! Phaphtergg Iä jrkno-soth!«
Die entsetzlichen Laute waren keineswegs zufällig. Nemo hatte Worte wie diese noch nie zuvor gehört, aber er erkannte sie auch so. Es waren Worte einer längst vergessenen Sprache, die vor Millionen Jahren auf der Erde gesprochen worden war. Die Sprache der GROSSEN ALTEN! Ein Begriff tauchte inmitten der sinnverwirrenden Litanei immer wieder auf. Der Name des Wesens, dessen Erscheinen beschworen wurde.
»Iä Nyarlathotep, R’ygk-gkroth Nyarlathotep!«
Nemo presste sich die Hände gegen die Ohren. Trotzdem glaubte er den grauenvollen Gesang in unverminderter Lautstärke zu hören. Die Worte bereiteten ihm beinahe körperlich spürbare Schmerzen, aber schlimmer als alles war der Gedanke an das, was geschehen würde, falls die Beschwörung Erfolg haben sollte.
Von Es, dem mutierten Shoggoten, war nichts zu sehen. Nemo taumelte zu Galbright hinüber. Keiner der Besessenen nahm Notiz von ihm. Nemo wusste nicht, wieso ausgerechnet er aus dem fremden Bann aufgewacht war. Vielleicht lag es daran, dass er ungezwungen durch das Tor gegangen war, vielleicht auch einfach nur an seiner besonders starken Willenskraft. Er rüttelte Galbright mit aller Kraft an der Schulter, ohne große Hoffnung, dadurch etwas erreichen zu können. Eine Erwartung, die nicht enttäuscht wurde.
Verzweifelt blickte Nemo sich um. Die Zeit drängte. Jeden Augenblick konnte Es zurückkehren und ihn erneut unter seinen Willen zwingen. Ihm blieb nur die Flucht.
Noch einmal ließ er den Blick über seine Mitarbeiter schweifen. Die gesamte Besatzung der NAUTILUS befand sich darunter. Wenn das Unterseeboot inzwischen zurückgekehrt war, mussten sich auch Lovecraft und Robert Craven an Bord befunden haben. Die einzigen beiden Menschen, die ihm helfen konnten.
Er musste sie finden.
»Shadow«, murmelte ich mit brüchiger Stimme.
Die Gestalt vor mir war die El-o-hym, ich wusste es vom ersten Augenblick an,
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