Hexer-Edition 20: Hochzeit mit dem Tod
weiß ich selber nicht.«
Gedankenverloren nickte ich. Wenn ich ehrlich war, hatte ich keine andere Antwort erwartet, auch wenn mir nicht klar war, woher dieses Wissen stammte. Etwas an allem hier war auf unbegreifliche Art absurd und falsch, doch ich kam nicht darauf, was es war. Etwas in mir schrie danach, Shadow einfach zu folgen, doch zugleich sträubte sich auch etwas in mir dagegen. Ich musste mich zwingen, wieder an den Grund meines Hierseins zu denken.
»Kannst du mich zu Howard und den anderen bringen?«, fragte ich.
Shadow nickte. Ein säuerlicher Ausdruck erschien auf ihrem Gesicht. Deutlich spürte ich die gekränkte Eitelkeit, die in der Bewegung mitschwang. »Wir müssen ins Zentrum der … Stadt. Dort wirst du Antworten auf viele Fragen finden. Aber das hat Zeit. Jetzt könntest du ohnehin nichts unternehmen. Erst musst du wieder zu Kräften kommen.«
Ich konnte mir durchaus vorstellen, was sie darunter verstand, und der Wunsch mich ihr einfach hinzugeben wurde fast übermächtig in mir. Dennoch kämpfte ich dagegen an. Mir war das kurze Stocken in ihrer Stimme nicht entgangen, das darauf hindeutete, dass sie erst etwas ganz anderes hatte sagen wollen. Die El-o-hym wusste mit Sicherheit mehr, als sie bislang zugegeben hatte, auch wenn es mir schwer fiel zu glauben, dass sie mich absichtlich hinterging.
»Was hat es mit dieser Stadt auf sich?«, unternahm ich einen letzten Versuch, doch noch etwas aus ihr herauszubekommen. »Wer hat sie erbaut? Warum stehen alle die Gebäude leer?«
Shadow runzelte die Stirn. »Ich sagte doch schon, du wirst die Antworten auf viele Fragen noch bekommen, wenn die Zeit reif ist. Aber hier ist wirklich nicht der günstigste Ort zum Reden. Komm endlich mit.«
Ihre Finger strichen mit unendlicher Zärtlichkeit über mein Gesicht und mein Widerstand schmolz dahin. »Was sollen wir in dem völlig leeren Haus?«, begehrte ich ein letztes Mal auf, während ich mich schon von ihr wie ein kleiner Schuljunge in das Gebäude ziehen ließ.
»Wieso leer?«, fragte Shadow verständnislos und machte eine weit ausholende Bewegung mit der Hand. Zumindest so weit ausholend, wie es die enge Kammer zuließ. Vor Entsetzen keuchte ich auf und taumelte zurück. Ich kannte diese Kammer. Necron hatte mich hier als »Gast« eingesperrt; hier, tief im Inneren der Drachenfestung. Alles begann sich vor meinen Augen zu drehen. Mit einem Aufschrei riss ich mich von der El-o-hym los und schlug gepeinigt die Hände vors Gesicht.
»Robert, was ist mit dir?«, vernahm ich Shadows Stimme wie aus weiter Ferne und spürte gleichzeitig ihre Hand auf meiner Schulter. »Komm endlich zu dir. Du hast geträumt.«
Geträumt!
Wie ein Donnerschlag hallte das Wort hinter meiner Stirn wider. Zögernd öffnete ich die Augen wieder. Immer noch befanden wir uns in der karg eingerichteten Kammer. Verwirrt schaute Shadow mich an.
»Du musst aufwachen, Robert«, sagte sie eindringlich. »Was auch immer du geträumt hast, es ist vorbei.«
»Wo … wo sind wir? Shadow, ich …«
»Wo wir sind? Eine reichlich dumme Frage, findest du nicht? Schließlich hast du alle nur denkbaren Anstrengungen unternommen, um die Drachenburg zu erreichen.«
»Die Drachenburg«, echote ich und versuchte meine Benommenheit wegzublinzeln. Geträumt. Alles nur ein Traum. Der Tod von Shadow, Necron, Shannon … unsere Rückkehr nach London … Sill el Mot … die Begegnung mit Sherlock Holmes … die Reise zu Nemos Stützpunkt – alles sollte nur ein Traum sein? Hatte unser Autor tatsächlich die Frechheit besessen, siebzehn Bände lang nur über einen Traum zu berichten? Na ja, zuzutrauen war es ihm.
Ich hatte den Beweis vor mir. Kein Wunder, dass Shadow noch am Leben war, wenn ihr Tod niemals stattgefunden hatte. Aber wenn sie nicht gestorben war, dann war es auch Necron nicht, und wir befanden uns immer noch zusammen mit Sitting Bull in seiner Gewalt.
Und Priscylla …
Der Gedanke an sie ernüchterte mich augenblicklich.
»Ich muss zu Necron«, verkündete ich und schwang mich von der Pritsche.
»Aber Robert, du kannst nicht …«
»Hör mir zu, Shadow«, unterbrach ich sie. »Es kann sein, dass ich nur einen wirren Traum hatte, aber es kann auch sein, dass ich einen Blick in die Zukunft getan habe. Eine Zukunft, deren Verlauf ich unter allen Umständen verhindern muss. Du magst es lächerlich finden, aber es geht auch um dein Leben.«
Ich war mir bewusst, wie kitschig meine Worte klangen, aber mir fiel nichts anderes ein.
Weitere Kostenlose Bücher