Hexer-Edition 21: Der Sohn des Hexers I
noch stand deutliches Entsetzen in seinem Gesicht geschrieben.
»Morlocks«, erwiderte der Fremde knapp. »Darf ich mich vorstellen? Mein Name ist Herbert George Wells. Nennen Sie mich ruhig George.«
Howard nannte seinen Namen und die seiner Begleiter. »Wo sind wir hier?«, fragte er. »Und was sind diese … Morlocks? Ich habe solche Wesen noch nie zuvor gesehen.«
George lächelte flüchtig. »Erlauben Sie, dass ich erst eine Gegenfrage stelle. Sie sehen nicht aus, als ob Sie von hier stammten. Woher kommen Sie?«
»Aus London«, antwortete Howard.
»Und wie sind Sie hergekommen?«
»Das ist … eine komplizierte Geschichte«, erwiderte Howard ausweichend. »Es würde zu lang dauern, sie zu erzählen, und Sie würden mir vermutlich doch nicht glauben.«
Georges Lächeln vertiefte sich. »Wahrscheinlich doch. Aber lassen Sie mich die Frage anders stellen. Welches Jahr schreiben wir zur Zeit?«
»Achtzehnhundertzweiundneunzig«, entgegnete Howard verwirrt. Er fragte sich, worauf sein Gesprächspartner hinauswollte.
»Sie kommen aus dem London des Jahres achtzehnhundertzweiundneunzig?« George wirkte überrascht und erfreut zugleich. »Das ist fast das gleiche Jahr, aus dem ich …« Er brach mit einem vieldeutigen Achselzucken ab.
»Zum Teufel, was soll das alles?« Eine vage Ahnung keimte in Howard auf, doch sie war zu verrückt, um sie ernsthaft ins Auge zu fassen. Und dennoch konnten die bohrenden Fragen nach der Zeit nur diesem Ziel dienen.
»Was wissen Sie über die Zeit?«, erkundigte sich George.
Howard entschloss sich, etwas von seiner Zurückhaltung aufzugeben. »Mehr als viele andere«, gab er zögernd zu. »Wollen Sie andeuten, dass wir uns … in einem anderen Jahr befinden?«
»So könnte man es ausdrücken.« George nickte ernst. »Wir befinden uns in der Zukunft. Aber vielleicht ist es besser, wenn Sie nicht zu viel wissen.«
»Sagen Sie es mir«, verlangte Howard. »Welches Jahr schreiben wir?«
»Nun, ich –«
»Welches Jahr?«, drängte Howard. »Bitte, ich muss es wissen.«
George musterte Howard einige Sekunden lang, dann straffte er sich. »Wir befinden uns noch immer an dem Ort, an dem einst London stand«, erklärte er. »Was Sie sehen, ist das, was im Jahr achthundertzweitausendsiebenhunderteins noch davon übrig sein wird.«
Ich verbrachte fast die ganze Nacht auf dem Felsen, auf den ich mich gerettet hatte. So unnatürlich ruhig die Flut gestiegen war, um Joshua und die anderen zu verschlingen, so sehr begannen die Elemente zu toben, kaum dass sich das nasse Grab über ihnen geschlossen hatte. Der Wind hob mit einem einzigen, wütenden Kreischen zu zehnfacher Wucht an und ich musste mich mit aller Kraft an meinem Halt festklammern, um nicht heruntergeschleudert zu werden und ebenfalls zu ertrinken.
Das Wasser stieg weiter und weiter und es stieg jetzt nicht mehr langsam und beinahe lautlos, sondern rannte mit solcher Urgewalt gegen den Felsen, dass ich mehr als einmal fest davon überzeugt war, das Riff würde mich abschütteln wie ein bockendes Pferd seinen Reiter oder einfach unter mir zerbrechen. Die Wellen schlugen brüllend über mir zusammen und das eiskalte Salzwasser saugte auch noch das letzte bisschen Wärme aus meinem Körper. Nach einer Weile begann jedes Gefühl aus meinen Gliedern zu weichen. Ich klammerte mich weiter an meinem Halt fest, aber nun kaum mehr aus eigener Kraft, sondern fast nur, weil meine Finger zu steif gefroren waren, um den Fels loszulassen.
Wie ich die Nacht überlebte, weiß ich nicht. Die Stunden kamen mir vor wie Tage und zugleich schien die Zeit nur so dahinzurasen. Ich verbrachte die Nacht wie in Trance, einem üblen Fiebertraum gleich, aus dem ich einfach nicht erwachen konnte, sosehr ich es auch versuchte. Visionen plagten mich, Bilder voller namenlosem Schrecken, in denen ich immer wieder die Gesichter der Kinder sah, ihre weit aufgerissenen, von tödlicher Verzückung erfüllten Augen, das Wasser, das unaufhaltsam höher und höher stieg und sie schließlich verschlang … Ich fühlte mich schuldig. Es hatte absolut nichts gegeben, was ich hätte tun können, und doch wühlte und grub in mir das grässliche Gefühl, Schuld am Tode all dieser Kinder zu sein, wie eine Ratte, die sich in meine Gedanken verbissen hatte und einfach nicht mehr loslassen wollte.
Erst als die Dämmerung hereinbrach, beruhigten sich die außer Rand und Band geratenen Elemente wieder. Der Wind flaute nicht ganz ab, aber es war jetzt kein tobender
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