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Hexer-Edition 21: Der Sohn des Hexers I

Hexer-Edition 21: Der Sohn des Hexers I

Titel: Hexer-Edition 21: Der Sohn des Hexers I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Sturm mehr und auch die Wellen beruhigten sich ein wenig. Und schließlich wagte ich es, mich von meinem Halt ins eisige Wasser hinuntergleiten zu lassen und auf das Ufer zuzuschwimmen. Ich hätte warten können, bis sich das Wasser zurückzog und ich zur Küste zurücklaufen konnte, aber ich hatte Angst, in den Stunden, die bis dahin noch vergehen mussten, zu erfrieren oder einfach vor Entkräftung zu sterben.
    Außerdem wäre mir der Gedanke unerträglich gewesen, die Leichen der Kinder zu sehen, die das zurückweichende Wasser freigeben mochte.
    So riskierte ich es – oder auch nicht, denn ich befand mich mittlerweile zweifellos in einem Zustand, mir des Risikos, das ich damit einging, gar nicht mehr bewusst zu sein.
    Die Entfernung zur Küste betrug nur knappe dreihundert Yards, aber ich brauchte jedes bisschen Kraft, das ich noch hatte, und ich schaffte es trotzdem nur, weil mir die Strömung half und ich ein schier unvorstellbares Maß an Glück auf meiner Seite hatte. Halb besinnungslos erreichte ich die Steilküste, nur ein kleines Stück von der hölzernen Treppe entfernt, die zu ihrem Grat emporführte, und tastete mich an dem salzverkrusteten Felsen entlang. Mit buchstäblich allerletzter Kraft zog ich mich auf die unterste Stufe hinauf, die aus dem Wasser ragte, und blieb erschöpft liegen.
    Ich brauchte eine Stunde, um die knapp hundert Stufen emporzusteigen. Die meiste Zeit kroch ich auf Händen und Knien und einmal gab eines der morschen Gebilde unter meinem Gewicht nach, sodass ich fast wieder in die Tiefe gestürzt wäre, was meinen sicheren Tod bedeutet hätte. Aber irgendwie schaffte ich es.
    Es war hell geworden, als ich mich auf die Küste hinaufzog. Die Sonne hatte noch keine Kraft, aber allein das Tageslicht schien mich zu wärmen, und das Gefühl, endlich wieder festen Boden unter den Füßen zu haben, war unbeschreiblich wohltuend. Ich blieb einige Minuten lang einfach reglos so liegen und genoss den simplen Gedanken, noch am Leben zu sein.
    Das Erste, was ich erblickte, als ich die Augen wieder öffnete, war der Turm.
    Er befand sich näher an der Küste, als ich geglaubt hatte. Während der endlosen Stunden auf dem Felsen hatte ich das Gefühl gehabt, er wäre Meilen entfernt, aber das stimmte nicht. Tatsächlich betrug die Distanz zwischen ihm und dem Riff, auf dem ich die Nacht zugebracht hatte, allerhöchstens hundert Yards; mithin also kaum ein Drittel der Strecke, die ich gerade schwimmend zurückgelegt hatte.
    Trotzdem bedauerte ich keine Sekunde lang, es getan zu haben.
    Der Turm war … unheimlich. In der Nacht hatte ich seinen Umriss für den eines ganz normalen Leuchtturmes gehalten, aber wie so vieles war auch das ein Irrtum gewesen. Das klotzige Gebilde, das da eine Viertelmeile vor der Küste aus dem Wasser ragte, war viel älter als jeder Leuchtturm, von dem ich je gehört hatte. Er war aus zyklopischen Felsquadern errichtet und musste noch aus der Zeit der Kelten stammen, wenn nicht aus einer noch früheren Epoche. Seine Form war sonderbar, beinahe bizarr. Das Gefühl war nur schwer in Worte zu kleiden, aber es war regelrecht unangenehm, ihn anzusehen. Etwas mit seinen Linien und Winkeln schien nicht zu stimmen, etwas nicht Greifbares, das es aber unmöglich machte, ihn länger als ein paar Sekunden anzusehen, ohne ein körperliches Unbehagen zu empfinden. Ich wandte den Blick wieder ab, stand auf und begann langsam in Richtung auf Brandersgate loszugehen.
    Ich bewegte mich nicht sehr schnell und ich wäre wohl auch nicht schneller gegangen, wäre ich nicht so vollkommen erschöpft gewesen. Ich hatte Angst davor, in das Dorf zurückzukehren, denn ich brachte wahrscheinlich die schlimmste Nachricht, die seine Bewohner jemals erhalten hatten.
    Nach einigen Minuten stieß ich wieder auf die Straße. Bei Tageslicht betrachtet machte sie einen noch erbärmlicheren Eindruck als in der Dunkelheit und ich blieb unwillkürlich stehen, um sie mir genauer anzusehen. Die dünne Teerdecke war verwittert und an zahllosen Stellen geborsten; Unkraut und sogar die Schösslinge einiger junger Bäume hatten sich mit der geduldigen Unaufhaltsamkeit der Natur ihren Weg ans Sonnenlicht erzwungen. Hier und da war die Teerdecke nur noch so dünn wie Papier. Die Straße sah aus, als wäre sie ein halbes Jahrhundert alt; und seit der gleichen Zeit vergessen und dem Verfall preisgegeben.
    Etwas an diesem Gedanken störte mich. Und es dauerte nur ein paar Augenblicke, bis ich auch wusste,

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