Hexer-Edition 21: Der Sohn des Hexers I
er sah an der Reaktion auf dem Gesicht des Gefängnisdirektors, wie verärgert dieser auf seine Worte reagierte. Trotzdem ersparte er es sich, ein Wort der Entschuldigung vorzubringen. Langston war kein sehr guter Mensch. Howard hatte mehr als fünf Jahre Zeit gehabt, das herauszufinden.
»Uns bleibt noch eine gute halbe Stunde«, mischte sich Gray ein. »Wäre es möglich, dass ich in dieser Zeit noch einmal allein mit meinem Mandanten rede?«
Cohen und Langston tauschten einen raschen Blick. Der Gefängnisdirektor war von Grays Vorschlag sichtlich wenig begeistert, aber Cohen signalisierte ihm, zuzustimmen, und so zuckte er schließlich mit den Schultern. »Das verstößt zwar eigentlich gegen meine Vorschriften«, sagte er, »aber ich denke, ich kann eine Ausnahme machen.«
»Das ist äußerst großzügig von Ihnen, Mr. Langston«, sagte Gray. Er gab sich gar keine Mühe, den beißenden Spott aus seiner Stimme zu vertreiben. Langston spießte ihn mit einem Blick regelrecht auf, verbiss sich aber jede Antwort und ging, dicht gefolgt von Cohen, zur Tür. »Zehn Minuten«, sagte er bevor er hinausging.
Gray wartete, bis sie allein waren. Auch dann ergriff er noch nicht sofort das Wort, sondern ging hinter Cohen und dem Gefängnisdirektor her, öffnete die Tür und warf einen Blick auf den Flur hinaus, um sich davon zu überzeugen, dass sie nicht belauscht wurden. Erst dann kam er zu Howard zurück und im gleichen Moment wichen der kühle Ausdruck und die steife englische Haltung ebenso aus seinem Gesicht und seiner Statur wie die Selbstbeherrschung aus seiner Stimme.
»Es tut mir so Leid, Howard«, sagte er. »Ich habe alles versucht, was ich –«
Howard unterbrach ihn mit einer sanften Geste. »Das weiß ich«, sagte er. »Es ist nicht deine Schuld.«
»Ich war ein paar Tage nicht in der Stadt«, fuhr Gray fort, noch immer im Tonfall einer Entschuldigung, als hätte er Howards Antwort gar nicht gehört. »Ich nehme an, Langston und seine Spießgesellen haben das gewusst und die Gelegenheit ausgenutzt. Ich könnte versuchen noch einmal einen Aufschub zu erreichen. Wenn ich meine Beziehungen spielen lasse …«
Wieder schüttelte Howard den Kopf. »Es wäre sinnlos«, sagte er. »Du würdest noch ein paar Tage herausschinden, vielleicht noch eine Woche oder sogar einen Monat. Aber wozu?«
Gray blickte ihn traurig an. Er stellte keine Frage mehr, denn er schien die Antwort zu kennen. Vermutlich wusste er, was in Howard vorging. Wenn es etwas gab, das schlimmer war als das Wissen um den sicheren Tod, dann war es das Warten darauf.
»Warum bist du nicht geflohen?«, fragte er ganz leise. »Ich stelle diese Frage nicht als Anwalt, sondern als dein Freund. Ich weiß, dass du unschuldig bist. Und ich weiß, dass du so gemächlich hättest hier herausspazieren können wie aus einem Pub zur Sperrstunde.«
Howard blickte sekundenlang an ihm vorbei ins Leere. »Es ist gut, dass du davon beginnst«, sagte er schließlich. »Hättest du es nicht getan, so hätte ich Langston gebeten, noch einmal mit dir reden zu dürfen. Du hast Recht, Mortimer. Ich hätte fliehen können, aus diesem Gefängnis, dieser Stadt, sogar von dieser Insel, und niemand hätte mich aufhalten können. Aber der Preis wäre zu hoch gewesen.«
»Welcher Preis?« wunderte sich Gray.
»Roberts Leben«, antwortete Howard.
Gray blinzelte ein paar Mal. »Was soll das heißen? Robert befindet sich in Frankensteins Obhut, ob du nun hier bist oder in Amerika oder –«
»Das stimmt nicht«, sagte Howard. Gray brach verblüfft mitten im Wort ab und wieder ließ Howard endlose kostbare Sekunden verstreichen, ehe er fortfuhr, noch leiser, jetzt fast flüsternd.
»Erinnerst du dich noch, was du selbst mir damals erzählt hast, an jenem Tag, nachdem Rowlf und Sill Roberts Leiche zu Viktor gebracht haben? Dass er sich anfangs geweigert hätte es zu versuchen, weil es ja doch sinnlos sei?«
Gray nickte. »Natürlich.«
»Er hatte Recht«, sagte Howard. Gray wollte eine verblüffte Frage stellen, aber Howard ließ ihn nicht zu Wort kommen. »Als ich Robert aus dem brennenden Haus holte, war er mehr tot als lebendig. Du hast seine Verletzungen gesehen. Kein Arzt der Welt, und sei er noch so genial, hätte sie heilen können. Nicht einmal Viktor. So tat ich das Einzige, was ich noch für ihn tun konnte.« Er sah den alten Rechtsanwalt ernst an. »Was du jetzt hörst, wird dich in Erstaunen versetzen, aber es ist die Wahrheit. Du weißt, dass ich in der Lage
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