Hexer-Edition 21: Der Sohn des Hexers I
hier. Irgendwie.«
»Er hat Recht«, sagte eine Stimme hinter ihnen.
Howard und Gray wandten im gleichen Augenblick die Köpfe und sahen, dass auch Rowlf und Sill el Mot den Raum betreten hatten. Rowlfs Gesicht sah noch immer aus wie eine leblose Maske, aber auf Sills Zügen hatte sich ein Ausdruck ausgebreitet, der irgendwo zwischen Verwirrung und nackter Angst lag.
»Er hat Recht«, sagte sie noch einmal, jetzt direkt an Gray gewandt. »Sie ist noch immer da. Ich … kann sie spüren.«
Zwischen Grays Augenbrauen erschien eine steile Falte. »So«, raunzte er. »Dann könnt ihr beiden offensichtlich mehr spüren, als ich fühlen kann.« Er wiederholte seine wedelnde Handbewegung, aber Sill lächelte nur.
»Nicht alles, was man nicht anfassen kann, existiert deshalb nicht«, sagte sie sanft. »Das solltest selbst du wissen.«
Gray verdrehte in geschauspielertem Zorn die Augen. »Manchmal ist es wirklich lästig, eine Hexe zur Tochter zu haben«, murrte er.
Howard sah ihn eine Sekunde lang verwirrt und fragend an, ging aber nicht weiter auf Grays Bemerkung ein. Er stand mit einem Ruck auf, trat einen Schritt zurück und bedeutete Gray mit einer Geste, dasselbe zu tun. Der Anwalt gehorchte.
»Irgendetwas stimmt hier nicht«, murmelte Howard, als sie wieder ins Erdgeschoss hinuntergestiegen waren.
»Das kannst du laut sagen«, pflichtete ihm Gray bei. Er versuchte noch immer, seine Unsicherheit mit Ruppigkeit zu überspielen, aber es gelang ihm nicht ganz. »Ist dir eigentlich der Geruch nicht aufgefallen?«
»Was für ein Geruch?« Howard sog hörbar die Luft ein.
»Brandgeruch.« Gray verdrehte abermals die Augen. »Wenn man eine stinkende Zigarre nach der anderen raucht, riecht man wahrscheinlich nicht einmal, wenn die eigene Hose brennt«, sagte Gray. Er wurde sofort wieder ernst. »Fällt es dir wirklich nicht auf?«
Howard schnüffelte noch einmal. Er spürte den Geruch. Er hatte ihn die ganze Zeit über gespürt. »Das ist kein Brandgeruch«, sagte er zögernd.
»Riecht wie Säure«, sagte Rowlf.
»Er hat Recht.« Gray sah plötzlich gar nicht mehr nachdenklich aus, sondern eindeutig erschrocken. »Es riecht wie …«
»Wie im Gefängnis«, führte Howard den Satz zu Ende. Wieso war es ihm eigentlich nicht sofort aufgefallen? Es war der gleiche, ätzende Säuregeruch, den er auch während des Überfalls des Schneckenmonsters auf das Gefängnis verspürt hatte.
»Wie damals aufm Friedhof«, sagte Rowlf. »Da hats genauso gestunken.«
»Dann weißt du jetzt, wer deine Leute umgebracht hat«, sagte Howard düster. »Es war dieses Ungeheuer. Es war hier.«
»Un hat den Kleenen verschleppt?«, entfuhr es Rowlf. »Aba das kann garnich sein. Das Vieh ist doch hin! Ich … ich habs doch gesehn! Un Sill auch.«
Howard schwieg dazu. Er hatte von Anfang an bezweifelt, dass das Ungeheuer damals tatsächlich vernichtet worden war. Der Überfall auf das Gefängnis war der Beweis gewesen. Anderseits – wer sagte ihnen, dass es nur ein einziges dieser Ungeheuer gab?
»Ist einem von euch eigentlich aufgefallen, was mit dem Garten passiert ist?«, fragte Sill plötzlich.
Howard schüttelte den Kopf, aber Gray sah die schwarzhaarige Araberin plötzlich betroffen an. »Die Pflanzen sind verdorrt«, sagte er.
»Nicht verdorrt«, verbesserte ihn Sill. »Sie sind weg. Irgendetwas hat sie gefressen.«
Ein eisiger Schauer lief über Howards Rücken. Er war viel zu sehr mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt gewesen, um tatsächlich auf seine Umgebung zu achten, als sie gekommen waren, aber er kannte Sill el Mot als einen Menschen, der selten etwas sagte, worüber er nicht gründlich nachgedacht hatte. Rasch stand er auf und ging durch die trümmerbedeckte Halle zur Tür.
Eine Sekunde später schrie er so entsetzt auf, dass selbst Gray nur einen Augenblick brauchte, um an seine Seite zu stürmen – und ebenso entsetzt wie er und die beiden anderen stehen blieb.
Der Regen fiel noch immer in grauen, rauschenden Schleiern vom Himmel, die mittlerweile so dicht waren, dass selbst die gegenüberliegende Seite des Ashton Place nicht mehr zu erkennen war.
Umso deutlicher erkannten sie dafür den Garten, den braunen Morast, in den sich der ehemals blühende Park verwandelt hatte.
Und das schwarze, unheilige Leben, das plötzlich darin erschienen war und rasend schnell auf das Haus zukroch …
Seit meinem Erwachen in Viktors Obhut hatte ich eine gewisse Übung darin entwickelt, auf die eine oder andere Weise das
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