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Hexer-Edition 22: Der Sohn des Hexers II

Hexer-Edition 22: Der Sohn des Hexers II

Titel: Hexer-Edition 22: Der Sohn des Hexers II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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anzutreten.
    Tom presste den Körper seiner toten Frau an sich, streichelte immer wieder ihr Gesicht und begann sich hin- und herzuwiegen. Es war ein Bild, das mich fast zu Tränen rührte. Dieser Mann hatte vor wenigen Stunden erst versucht mich umzubringen, aber ich empfand keinerlei Groll mehr. Alles, was ich spürte, war ein tiefes, beinahe schmerzendes Mitleid.
    Langsam ließ ich mich neben ihm auf die Knie herabsinken, sah ihn an und wartete wortlos, bis er seinen Schmerz weit genug überwunden hatte, um mich überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Etwas war in seinen Augen, das mich warnte. Aber es war jetzt kein Zorn mehr, nicht die Warnung vor einem neuerlichen, bevorstehenden Angriff. Es war etwas Schlimmeres. Plötzlich wusste ich, dass ich nicht nur ein, sondern zwei Opfer des Wirkens meiner Feinde vor mir sah.
    »Es tut mir so Leid, Tom«, sagte ich leise.
    Er hörte auf, mit den Fingerspitzen über die Züge seiner toten Frau zu streichen, wiegte sich aber weiter wie im Takt einer unhörbaren Melodie hin und her. »Sie … sie ist verletzt, Craven«, sagte er. »Ich muss sie zum Arzt bringen. Ich habe es ihr versprochen. Ich habe ihr und Barney versprochen, dass sie wieder gesund wird.«
    Im allerersten Moment spürte ich nichts als Verwirrung, dann einen neuerlichen, tiefen Schrecken. »Das geht nicht, Tom«, sagte ich sanft.
    »Aber ich muss es tun«, antwortete Tom, in einem Ton wie ein verstörtes Kind, das nicht ganz begreift, worüber es wirklich spricht. »Sie müssen mir helfen, Craven. Es gibt keinen Arzt in Brandersgate. Ich muss sie nach Northwillow bringen. Der … der Wagen.« Er sah sich suchend um. »Wo ist der Wagen?«
    Meine Gedanken jagten sich. Tom hatte zweifellos den Verstand verloren, und wahrscheinlich nicht erst jetzt, sondern schon irgendwann im Laufe der Nacht. Doch ich wusste, wie sinnlos es war, ihm die Wahrheit sagen zu wollen.
    »Der Wagen ist nicht da, Tom«, sagte ich. »Wir können sie nicht wegbringen.«
    »Aber sie muss zum Arzt«, beharrte Tom. Seine Augen füllten sich mit Tränen. »Sehen Sie denn nicht, dass sie krank ist?«
    »Doch«, antwortete ich sanft. »Und wir werden sie auch zu einem Arzt bringen, das verspreche ich Ihnen. Dem besten, den es gibt. Sie wird wieder gesund.«
    Ich kam mir selbst niederträchtig bei diesen Worten vor, aber wahrscheinlich war es so, dass Tom sie ohnehin nicht zur Kenntnis genommen hätte, hätte ich irgendetwas anderes gesagt. Vorsichtig streckte ich die Hände aus und versuchte Alyssa aus seiner Umarmung zu lösen, aber er klammerte sich nur noch fester an sie und stieß mich mit der Schulter von sich.
    »Lassen Sie mich!«, sagte er. »Ich muss sie wegbringen.«
    »Aber ich will Ihnen doch nur helfen. Wir können Brandersgate jetzt nicht verlassen. Der Wagen ist nicht hier. Wir werden sie … später wegbringen. Jetzt haben wir Wichtigeres zu tun.«
    Tom sah mich aus großen Augen an, aber diesmal wehrte er sich nicht, als ich seinen Griff behutsam löste und damit begann, Alyssas reglosen Körper von der Straße weg und ein Stück in den Wald hineinzuziehen. Ich bettete sie sorgfältig so auf den mit abgestorbenem Laub und Blattwerk bedeckten Boden, dass sie von der Straße aus nicht sofort zu sehen war, dann ging ich zurück und verfuhr ebenso mit Cordwailers Leichnam. Tom versuchte nicht mich daran zu hindern, rührte sich aber auch nicht, sondern sah mir reglos aus großen und vom Wahnsinn erfüllten Augen zu. Erst als ich mit meinem schrecklichen Werk zu Ende gekommen und zur Straße zurückgegangen war, sagte er: »Wir müssen sie wegbringen. Wir können sie doch nicht einfach hier lassen. Sie ist krank und braucht Hilfe, Craven.«
    »Ihr geschieht nichts«, sagte ich. »Wir können sie nicht tragen, Tom. Der Weg ist zu weit. Und sie ist krank, das haben Sie selbst gesagt. Lassen Sie sie schlafen, bis wir Hilfe geholt haben und zurückkommen.«
    Tom stand auf. Seine Bewegungen waren starr, wie von einem inneren Zwang erfüllt, der seinen eigentlichen Willen niederkämpfte. Während ich mich suchend auf der Straße umsah, um mich davon zu überzeugen, dass keine Spur von unserer Anwesenheit zurückgeblieben war, starrte er reglos in den Wald hinein. Und plötzlich sagte er ganz leise: »Sie ist tot, nicht wahr?«
    Ich wandte mich zu ihm um, sah ihn an und ein eisiges Schaudern lief über meinen Rücken. Tom lächelte. Ein schreckliches, Angst einflößendes Lächeln, das noch schlimmer war, als die Worte zuvor, und ich

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