Hexer-Edition 23: Das Labyrinth von London
Wasser, das sich kaum eine Sekunde später mit einem schmatzenden Geräusch über ihm schloss.
Der enge Stollen verwandelte sich in ein Tollhaus. Die überlebenden Männer stürzten in kopfloser Panik davon und auch Blossom begann zu rennen, ohne zu wissen, wohin. Nur fort, fort, fort! Ein paar Mal prallte er gegen die Wände oder einen der anderen und zwei oder drei Mal entging er nur durch eine verzweifelte Bewegung einem schnappenden weichen Maul, das da war, wo sich gerade noch massiver Fels befunden hatte.
Er sah, wie einer der Männer stolperte und gegen und in die Wand stürzte, die seinen Kopf, die Schultern und den Oberkörper mit einem schmatzenden Geräusch aufsog, auf einen anderen regnete ein Hagel faustgroßer schwarzer Tropfen herab, als die Decke über ihm plötzlich flüssig wurde. Der aufgeweichte Fels schien kein Gewicht zu haben. Die Steine, obwohl zum Teil kopfgroß, verletzten den Mann nicht, aber sie rannen wie klebriger Sirup an seinem Körper herunter und verschmolzen blitzschnell mit dem Boden, und da, wo sie es taten, rissen sie den unglückseligen Burschen einfach mit sich. Er hatte keine Chance. Seine Schreie verhallten hinter Blossom in der Dunkelheit des Ganges.
Blossom rannte. Er wusste nicht, was von den entsetzlichen Bildern rings um ihn herum Wirklichkeit und was Trugbilder waren, die seiner eigenen Panik entsprangen. Er wusste nicht mehr, wohin er rannte oder wie weit. Irgendwann begannen seine Kräfte zu erlahmen. Er lief langsamer, stolperte, fing sich im letzten Moment wieder und stolperte erneut, um diesmal wirklich zu stürzen. Er rechnete fest damit, ebenso im Boden zu versinken wie die anderen vor ihm, aber der Fels war hart; er schlug so schwer auf, dass er für eine Sekunde am Rande der Bewusstlosigkeit dahindämmerte und Blut über sein Gesicht lief, als er sich wieder aufrichtete.
Gerade im richtigen Moment, um zu sehen, wie die Wand neben ihm zu schmelzen begann. Eine Sekunde später zitterte auch der Felsen, auf dem er selbst saß.
Blossom hatte nicht einmal mehr die Kraft, zu schreien, als er langsam in den schwarzen Stein einsank …
18. Februar 1893
»Widerlich«, sagte Howard. Seit wir Andara-House verlassen hatten, war dies das erste Wort, das er überhaupt sprach, aber dies mit solcher Inbrunst, dass ich automatisch zu ihm aufsah und ihn stirnrunzelnd musterte. Er hatte eine seiner unvermeidlichen Zigarren zwischen den Lippen und musterte das kleine Glas, um das er mich gebeten hatte und in dem sich jetzt einige der kleinen, halb durchsichtigen Würmer ringelten. Jetzt, im hellen Tageslicht betrachtet, sahen die furchtbaren Geschöpfe noch Ekel erregender und abstoßender aus als unter der Erde; und trotz allem auf eine Weise harmlos, die beinahe absurd erschien. Ekelhaft, aber nicht gefährlich.
Trotz des beißenden Rauchs seiner Zigarre, der in dichten Schwaden in der Luft hing, hatte ich das Gefühl, zum ersten Mal seit einer Ewigkeit wieder frei durchatmen zu können. Howard und ich waren mehr als eine Stunde durch die unterirdischen Stollen rings um Andara-House gelaufen und zum Teil gekrochen, eine Stunde, in der wir insgesamt weitere vier der unheimlichen Stollen entdeckt und ebenso viele Wurmkolonien vernichtet hatten. Das hatte sich als leichter erwiesen, als ich zu hoffen gewagt hatte. Die Biester waren wirklich leicht zu töten – zumal ich von Storm einen Eimer mit Farbverdünner bekommen hatte, dessen durchdringender Geruch zwar noch immer in meinen Kleidern haftete, der aber wie flüssiges Dynamit brannte – und radikal mit den kleinen Ungeheuern aufgeräumt hatte.
Trotzdem war es ein reiner Albtraum gewesen. Wir waren den Stollen in beide Richtungen gefolgt, bis sie entweder endeten oder so eng wurden, dass man nicht einmal mehr kriechend darin vorwärts kam, ohne auf weitere Würmer zu treffen. Aber ich war keineswegs beruhigt. Das Problem war nicht, die kleinen Biester zu vernichten. Das Problem war, sie alle zu erwischen. Wenn auch nur einziges Tier übrig geblieben war, dann würde es nur wenige Stunden dauern, bis ihre Zahl wieder die ursprüngliche Menge erreicht hatte. Oder das Doppelte. Oder auch das Millionenfache …
Ich hatte auch das Glas mitgebracht, um das mich Howard gebeten hatte; auch wenn ich von seinem Vorhaben, einige der kleinen Bestien lebend einzufangen, alles andere als begeistert war. Trotzdem hatte ich ihm dabei geholfen. In dem sorgfältig verschlossenen und zusätzlich in eine Decke gewickelten Glas,
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