Heyne - Das Science Fiction Jahr 2012
Altern gebe,
könne man nach dem derzeitigen Wissensstand nicht sagen. »Wir müssen den Bürgern erläutern, dass das Einwirken auf die Natur ein kontinuierlicher Prozess ist. Was neu ist, ist einerseits das Ausmaß des Eingriffs und andererseits der gewollte Eingriff von Einzelnen in ihre eigene Persönlichkeit sowie die Auswirkung dieser Praxis auf die Gesellschaft.« Dazu zählen auch Eingriffe ins Gehirn. Gruss weist auf die Neuroprothetik, aber auch auf medizinische Drogen hin, mit denen man die eigene Leistungsfähigkeit erhöhen wolle. Die Gesellschaft müsse die Verwendung dieser Mittel diskutieren.
In verschiedenen Beiträgen des Bandes werden konkrete Forschungsvorhaben diskutiert. Ziel sei es, ein Medikament gegen das Altern zu entwickeln. Ein solches sei vielleicht Metformin als AMPK-Aktivator (David Gems). Eine andere Vorgehensweise sei die nanomedizinische Entwicklung »geschützter Wirkstoffe«, die auch tatsächlich von den Zellen, für die sie gedacht sind, absorbiert werden (Kurzweil, Lehn). Induzierte pluripotente Stammzellen sind ein weiteres Thema im Zusammenhang mit der Regenerationsfähigkeit von Organen (Hans Schöler). Ray Kurzweil fasst sein »Drei-Brücken-Programm« zur Lebensverlängerung zusammen: Nach einer guten gesundheitlichen Versorgung und der Reprogrammierung der Biochemie sei es die Nanotechnologie, die für ein ewiges Leben sorgen werde. »Seit wir das menschliche Genom sequenziert haben …, werden unsere Gesundheit, unsere Biologie, unsere Medizin zu Informationstechnologien … Gesundheit, Biologie, Altern und Krankheit werden nun als Informationsprozesse begriffen, und damit verfügen wir über die praktischen Mittel, das Ende des Todes abzusehen, da unser Wissen über diese Dinge exponentiell wächst.« Krebs werde man »fortprogrammieren« können. Das Gehirn werde direkt mit der Technologie verschmelzen; das gehe so weit, dass man Bewusstseinsmuster auf Maschinen übertragen könne. Die Mensch-Maschine-Zivilisation werde sich in nichtbiologischer Gestalt im Universum ausbreiten. Solche Uploading-Vorstellungen beruhten auf zu einfachen Annahmen über die Organisation des Gehirns, meinen im Gegenzug die Hirnforscher Wolf Singer und Ad Aertsen. Neben Kurzweil bringt nur Jean-Marie Lehn transhumane Optimierungsvisionen vor. Er wünscht sich ein zweites Herz und hat auch nichts gegen Flügel – warum auch nicht? Der Mensch sei nur »ein Punkt in dem Kontinuum der Evolution« und wir hätten heute »die Möglichkeit, die Evolution selbst in die Hand zu nehmen«. Das beinhalte auch die Schaffung neuer künstlicher Lebensformen.
Daneben fragten die Herausgeber nach dem Sinn einer Lebensverlängerung um Jahrhunderte oder gar der Nichtsterblichkeit. Luc Steels ist der Ansicht, dass die Menschheit andere Probleme als die Unsterblichkeit habe. Seine Bejahung der leitmotivischen Frage begründet Wolf Singer damit, dass er noch ganz gerne wüsste, was aus den heutigen Wissenskonzepten wird. Der Philosoph Aaron Ben-Ze’ev führt an, dass man mehr Zeit hätte, Dinge gründlich zu erledigen und sie aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten. »Das Leben könnte in einem größeren Rahmen stattfinden«, erklärt der Biologe David Gems, »als ob man eine größere Leinwand hat, auf die man das Bild seines Lebens malen kann. Es könnte einen wirklichen Qantensprung in der menschlichen Existenz bedeuten, wenigstens für manche.« Die Aussagen der verschiedenen Forscher lassen sich um zwei Pole gruppieren. Der Sinn des Lebens bestimmt sich für die einen aus dem Leben (Kurzweil) und für die anderen aus dem Tod (Gordijn). Die zweite Position sieht den Tod als Anreiz, überhaupt tätig zu werden, da die Zeit für Aktivitäten begrenzt sei und eo ipso sinnstiftend. Insofern müsse man die Endlichkeit des Lebens annehmen. Die erste wiederum versteht den Tod als zwar antreibendes, aber ärgerlich-belastendes
Hindernis, als »vorübergehende Notwendigkeit« in der biologischen Evolution, und interpretiert das sich selbst reflektierende und technokulturell evolvierende Leben, ob auf individueller oder gesellschaftlicher Ebene, als schöpferischen Prozess der Produktion neuer Informationen, potenziell unendlich …
Wolfgang Neuhaus
RAOUF KHANFIR
WITTGENSTEIN
Roman · Hablizel Verlag, Lohmar 2011 · 151 Seiten · € 16,90
Dieser Provinzgruselkrimi beginnt denkbar unprovinzlerisch – mit dem nach Kanada ausgewanderten Marco H., der es weder nötig hat, zu arbeiten, noch in
Weitere Kostenlose Bücher