Heyne - Das Science Fiction Jahr 2012
arabischen Nationen zudem eine neue geopolitische Großmacht: das »Großkalifat« – also ein größenwahnsinniges panarabisches Wirtschafts- und Militärbündnis. Dieses schluckt nicht nur die Nachbarländer, sondern dringt nach geduldiger Infiltration und Immigration (winkt da nicht der Herr Sarrazin rüber?) auch in europäische Länder ein – und macht sich nun daran, den amerikanischen Süden und Mittelwesten zu besiedeln; alles unter den Augen der in den USA tonangebenden japanischen »Regierungsberater«, zu denen eben auch Nick Bottoms Auftraggeber zählt.
Keine Frage, dass die durchaus gut erzählte Ermittlungsgeschichte gegenüber Simmons’ politischer Vision mehr und mehr in den Hintergrund tritt. Die Science Fiction hat schon immer auf bestehende gesellschaftliche Risiken hingewiesen – das ist nicht nur ihr gutes Recht, sondern macht sie auch so einzigartig und wertvoll. Auch gab es schon die eine oder andere Kurzgeschichte und Erzählung, die ein zukünftiges Amerika unter dem Schwert der Scharia oder gesteuert von einer chinesischen Regierung schilderte. Doch eine derart hasstriefende SF-literarische Auseinandersetzung mit dem Islam habe ich kaum je gelesen (denn Simmons verdächtigt und verurteilt eben nicht nur den extremen Islamismus, sondern gleich die gesamte islamische Religion und Lebensweise und baut damit ein Feindbild auf, das unmenschlich wirkt
und nur von dem Gedanken beseelt zu sein scheint, den Westen durch Beeinflussung, Fortpflanzung und Besiedlung zu besiegen) – und obwohl Simmons sich zurecht für den Schutz des Staates Israel einsetzt, erinnert mich gerade seine islamophobische Prosa (einmal wird der Islam sogar mit einer »Geisteskrankheit« verglichen) an den düstersten Stellen paradoxerweise an jene Propaganda – nur eben andersherum –, die einst von Antisemiten zur Entmenschlichung eines ganzen Volkes eingesetzt wurde. Man kann dazu stehen, wie man will, aber mit solchen Dingen und Gefühlen zu spielen, sollte sich ein vielgelesener Autor wie Dan Simmons mehr als zweimal überlegen.
Wenn er lediglich ein sogenanntes »kontroverses« Buch geschrieben hätte, das widersprüchliche Meinungen untersucht und seriös gegeneinander abwägt … Doch diese Anstrengung hat er sich nicht angetan, und seine Wahrnehmung der jüngeren politischen Vergangenheit bleibt äußerst selektiv: Erstens schlägt er sich klar erkennbar auf die Seite der Republikaner, da sich diese explizit zur immerwährenden Verteidigung Israels mit allen militärischen Mitteln bekennen – und erwähnt dabei nicht, dass selbst israelische oppositionelle Gruppen dahinter lediglich die Absicht republikanischer Lobbys und Wirtschaftsköpfe vermuten, mit Waffenverkäufen an das dankbare Israel ausgezeichnet zu verdienen. Zweitens kritisiert er den Umgang der heutigen US-Administration mit dem Nahost-Problem – und geht mit keinem Wort darauf ein, dass es der republikanische Präsident George W. Bush und sein Vater waren, die mit den Golfkriegen zu eben jener Instabilität und
über die Region hinausgehenden Eskalation beitrugen, die Simmons so sehr kritisiert (gänzlich unerwähnt bleibt der zunehmende christliche Fundamentalismus der rechten Gruppierungen Amerikas – Stichwort »Tea Party« –, der über den Washingtoner Lobbyismus wiederum mit Kriegsgeschäften verknüpft war und ist). Drittens und zuletzt nennt er als Grund für Amerikas wahrlich gigantische Schuldenlast ausgerechnet die Gesundheitsreform, die erstmals in der Geschichte amerikanischen Kleinverdienern und Mittellosen eine Chance auf eine halbwegs sichere Versorgung im Krankheitsfall bietet – und lässt völlig außen vor, dass George W. Bushs Kriege in Afghanistan und Irak den amerikanischen Steuerzahler ein Vielfaches davon gekostet haben, nämlich über zwei Billionen Dollar (wie der Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz 2008 errechnet hat). Hätte man dieses Geld nicht in die unehrliche und vergebliche Suche nach Massenvernichtungswaffen gesteckt, sondern in das Eigenkapital amerikanischer Banken oder in eine Wohnförderung für den Mittelstand, würden heute vielleicht weder die Amerikaner noch wir Europäer unter einer Wirtschaftskrise von bedrohlichen Ausmaßen leiden.
Was war da noch? Ach ja, ein Mordfall. Der wird nach einigen handlungsimmanenten Wirrungen, Schießereien und Actionszenen selbstredend aufgeklärt. Nicht nur das: Nick Bottom kommt von seiner Flashback-Sucht los, wird wieder zu einem
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