Heyne - Das Science Fiction Jahr 2012
die Bezugnahme auf einen Altmeister der Science Fiction in Trabers Die Flüsterer weitgehend die Geschichte bestimmte, stellt sie in diesem neuen Werk nur ein Extra-Vergnügen für Kenner dar.
Fürs Publikum auch ohne Spezialwissen präsentieren sich Die blauen Schafe als Vertreter der rar gewordenen Spezies Science-Fiction-Originalhörspiel, überzeugend in Stoff, Aufbereitung und Produktion. Und das auch oder erst recht beim zweiten Hören.
Marina Dietz
TILL MÜLLER-KLUG
SPRACHLABOR BABYLON
Komposition: Eckhard Ehlers · Regie: Thomas Wolfertz · Westdeutscher Rundfunk 2011
Wir leben in einer von Fiktionen aller Art beherrschten Welt … Besonders für den Schriftsteller ist es immer weniger nötig, den fiktiven Inhalt seines Romans zu ersinnen. Die Fiktion ist bereits vorhanden. Aufgabe des Schriftstellers ist es, die Realität zu erfinden.
J. G. Ballard:
Einige Anmerkungen zu »Crash« (1973)
Vor ungefähr einem Vierteljahrhundert gab es in speziellen Geschenkeläden sogenannte Phrasendreschmaschinen zu kaufen, ironische Mitbringsel für sprachkritische Freunde. Es handelte sich um eine Konstruktion mit drei Pappscheiben, bedruckt mit
einer Reihe von Adjektiven und Substantiven, die beliebig gegeneinander gedreht werden konnten. In den ausgesparten Fenstern erschien dann »qualifizierte Innovations-Akzeleration« oder »kreative Motivations-Konzeption« oder 7998 weitere klangvolle Kompositionen »progressiven« Sprachgebrauchs – eine »konservative« Variante gab es zusätzlich auf der Rückseite. An dieses intellektuelle Spielzeug fühlte ich mich beim Hören sofort erinnert, als im »Sprachlabor Babylon« der Substantiv-Isolator aktiviert wird, um Worthülsen mit freundlicher oder gewichtiger Anmutung zu generieren.
Zu den weiteren Aufgaben dieser Einrichtung gehört es, wie wir gleich erfahren, Spezialjargons für verschiedene Bedürfnisse und Einsatzbereiche zu entwickeln. Die Linguistik kennt diese Codes schon länger, beispielsweise den restringierten der Unterschicht und den elaborierten der gebildeten Oberschicht, aber jetzt können sich Leistungsträger erstmals ganz gezielt ihr passendes Hochleistungsdeutsch erwerben. Und natürlich nimmt das Labor auch routinemäßig Wortverschönerungsaufträge an. Da wird dann in wenigen Arbeitsschritten das hässliche Wort »Entlassung«, nein, nicht zur schon bekannten »Freisetzung«, sondern zur noch viel positiveren »Einstellungsvorbereitung« weichgespült.
Nur mit einem letzten Schritt bewegt sich das Szenario des Hörspiels von der Zeitsatire Richtung Science Fiction: Zur Blütezeit dieses Sprachlabors sind die soziologisch schon immer angelegten Unterschiede im Sprachvermögen nun ganz und gar an die Finanzkraft gebunden. Mithilfe einer neuen »Blauwellen«-Technologie können Wortschätze direkt dem Sprachzentrum des einzelnen Bürgers und Konsumenten zugeteilt werden; und wenn der klamm ist, kriegt er eben ein paar ausgefallene Wörter gelöscht, hat sie einfach nicht mehr im Hirn. Wozu braucht ein Arbeiter, der sich nur das Sprach-Sparpaket leisten kann, denn auch ein Wort wie »Redefreiheit«?
Es macht großen Spaß, die Hochleistungsträgerin Lucinda Duval bei ihrer Arbeit im Sprachlabor zu belauschen: im Dialog mit einem ebenso sachlichen wie hoch effizienten Mitarbeiter namens Syntacticus, den man erst nach einiger Zeit als künstliche
Intelligenz identifiziert, oder im stressigen Verkaufsgespräch mit einer anspruchsvollen Großkundin für verschlankende Wortschöpfungen. Natürlich hat sich gegen diese Entwicklung auch schon eine Protestbewegung formiert – einen Vertreter derselben lernt die Duval im virtuellen Freizeit-Begegnungsraum kennen und hat gleich die clevere Idee, diesen Burschen, der sich durch seine Sprache kritisch und oppositionell definieren will, zur Entwicklung eines neuen Verkaufsprodukts heranzuziehen: »Straßenflair radikal, die basisnahe Protestsprache«. Und wieder nicken wir kennerisch – hat das System doch immer schon den Protest gegen sich selbst vereinnahmt, siehe Popkultur, und in ein lukratives Handelsgut verwandelt! Dass die scheinbar so schlaue Labor-Dame diesmal auf die Nase fällt, erfreut zusätzlich, denn Max, der vermeintliche Rebell und Poet, entpuppt sich als Superprogramm eines ehrgeizigen Sprachentwicklers, das auf Zuruf eingängige Protestlyrik auswirft, die von humangenerierter Dichtung offenbar nicht mehr zu unterscheiden ist.
Weiter hat das temporeich inszenierte Hörspiel ein gut
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