Heyne - Das Science Fiction Jahr 2012
»Super-Cannes« oder »Millenium People«, in denen sich sein pathologisch-nihilistischer Blick auf die Kultur hinter keiner Handlung
mehr versteckt. Der Autor zieht alle Bremsklötze weg, entfernt alle Sicherheitsnetze. Zurück bleiben leere Häuser.
Ein großes Publikum hat Ballard damit in seinen letzten Lebensjahren nicht mehr begeistern können, aber zumindest in deutschen Rundfunkhäusern scheint es noch eine eingeschworene Gruppe von Fans zu geben: Running Wild ist die neueste einer ganzen Reihe von Hörspielfassungen von Erzählungen und Romanen des Engländers, die hierzulande schon lange nicht mehr lieferbar sind. Wie die Vorgänger bemüht sich auch dieses Hörspiel um größtmögliche Textnähe und ist in seiner Mischung aus Erzählstimme, Nachrichtenfetzen, Protokollauszügen und Musik souverän inszeniert; die ständige Geräuschkulisse verleiht dem absurden Geschehen den nötigen Drang nach vorne; der formal strenge Aufbau variiert die Vorlage in genau bemessener Dosierung. Und trotzdem wird auch hier einmal mehr die Chance versäumt, Ballard wirklich in ein anderes Medium zu überführen. Denn man kann sich Pangbourne Village durchaus auch als akustische Monstrosität vorstellen, als klaustrophile Klangwelt. Auf die Frage, wer gemordet hat und warum, hat Ballard eine topografische Antwort gefunden, und man hätte gerne gehört, wie ein solcher »Tatort« mit Tönen erzeugt und so das Science-Fiction-Gerüst zum Klingen gebracht wird, auf dem die Krimi-Handlung ruht. Denn die Kinder von Pangbourne Village flüchten nicht nur aus einem Gefängnis – sie flüchten aus einem Aggregatszustand. Man hätte sich, kurz gesagt, mehr »Inner Space« gewünscht.
Aber sei’s drum: Allein dass Running Wild auf einem Krimiplatz gesendet wurde, ist hinreichend subversiv. Bleibt nur zu hoffen, dass auch einer der vielen Tatort -Autoren zugehört hat.
Sascha Mamczak
BODO TRABER
DIE BLAUEN SCHAFE
Komposition: Ralf Haarmann · Regie: Petra Feldhoff · Westdeutscher Rundfunk 2011
Vier Studenten machen einen Ausflug in die Berge. Doch schon während der Anfahrt und dann beim Aufstieg zu einer einsamen Berghütte weist die Natur seltsame Veränderungen auf: unnatürlich große Insekten, blaue Schafe ohne Köpfe und Pflanzen, die miteinander zu kommunizieren scheinen. Später kommen dann abscheuliche Albträume dazu – »Sind sie in eine Zone veränderter Naturgesetze geraten? Gab es hier einen Chemieunfall? Oder ist dies alles nur eine Drogenphantasie?«, fragt die Programmankündigung.
Eine rhetorische Frage, denn es ist natürlich weder das eine noch das andere, sondern … – als Rezensent geniert man sich ja fast, seine Erkenntnisse mitzuteilen, gleicht es doch der Vorwegnahme einer Pointe oder der Identität des Mörders in einem raffiniert gestrickten Krimi. Aber man kommt eben nicht umhin, davon zu reden, weil man nur so seine Begeisterung für ein gelungenes Hörspiel nachvollziehbar machen kann.
Für ein Hörspiel, das von einem Experiment erzählt, das aus dem Ruder gelaufen ist. Die Erlebniswelten von fünf freiwilligen Probanden sollen durch eine neuartige Methode zusammengeführt werden. Der Professor, der sie entwickelt hat, nennt’s »kognitive Osmose durch Übertragung der Synapsenbotenstoffe«, vermittels derer ein Nervenimpuls, also ein Gedanke, »in eine chemische Botschaft verwandelt wird, die von einer Person auf die andere übertragen werden kann«.
»Ich seh das wie einen gemeinsamen Skiurlaub«, hatte eine Teilnehmerin kurz vor Beginn des Versuchs fröhlich verkündet. Doch schnell wird aus dem Skiurlaub der eingangs beschriebene Horrortrip, denn (was die Mehrzahl der anderen nicht weiß) eines der Versuchskaninchen ist Lt. Eldiss, ein durch Gefangenschaftserlebnisse schwer traumatisierter Soldat. Er befindet sich in der Gruppe auf Wunsch des Militärs, das sich von dem Experiment auch schnelle Hilfe für solche Kriegsopfer erhofft. Doch statt sich in der Gedanken- und Empfindungsgemeinschaft mit den unbeschwerten
jungen Leuten zu regenerieren, infiziert er sie gewissermaßen, reißt sie mit in den Abgrund seiner beginnenden Psychose.
Dem superschlauen Professor war offenbar ein verhängnisvoller Planungsfehler unterlaufen: Als seine Probanden einschlafen, verlieren sie die Kontrolle über ihr Unbewusstes, werden sie zunächst von den grauenhaften verdrängten Foltererinnerungen des Teilnehmers Eldiss überrannt, später dann von den eigenen Ängsten und Aggressionen. Die,
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