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Stilisierte Tropfen im Ozean der Wirklichkeit.
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Der kleine Heydrich ist zwar niedlich, blond, ein guter Schüler, lernwillig, er spielt Geige und Klavier, mag Chemie und wird von seinen Eltern geliebt, aber er besitzt eine Krächzstimme, die ihm einen seiner vielen Spitznamen beschert hat: In der Schule nennt man ihn «die Ziege».
Zu dieser Zeit kann man sich noch über ihn lustig machen, ohne sein Leben zu riskieren. Doch es ist auch jene entscheidende Phase der Kindheit, in der man Rachegelüste entwickelt.
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In seinem Roman Der Tod ist mein Beruf rekonstruiert Robert Merle den Lebensweg von Rudolf Höß (im Buch Rudolf Lang genannt), dem Lagerkommandanten von Auschwitz. Dabei stützt er sich auf Zeugenaussagen und Notizen, die Höß im Gefängnis zurückließ, bevor er 1947 hingerichtet wurde. Der gesamte erste Teil ist Höß’ Kindheit gewidmet, seiner fatalen Erziehung durch den ultrakonservativen, vollkommen starrsinnigen Vater. Die Intention des Autors ist offenkundig: Er möchte die Gründe oder zumindest Erklärungen für Höß’ Werdegang finden. Robert Merle versucht zu erahnen – ich sage absichtlich erahnen, nicht verstehen –, wie jemand dazu kommt, Kommandant in Auschwitz zu werden.
Meine Intention – ich sage absichtlich Intention, nicht Ambition – bei Heydrich liegt woanders. Ich werde nicht behaupten, dass Heydrich verantwortlich für die Endlösung wurde, weil seine Schulkameraden ihn «die Ziege» nannten, als er zehn Jahre alt war. Ich glaube auch nicht, dass die Hänseleien, denen er ausgesetzt war, weil man ihn für einen Juden hielt, zwangsläufig als Erklärung wofür auch immer herhalten sollten. Ich erwähne diese Tatsachen nur, um seinem späteren Ruf einen ironischen Anstrich zu verleihen: «Die Ziege» wird zu dem Mann, den man angesichts seiner Machtbefugnisse als den «gefährlichsten Mann des Dritten Reiches» bezeichnet. Und der Jude Süss verwandelt sich in den Planmeister des Holocaust. Wer hätte so etwas ahnen können?
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Ich stelle mir die Szene vor.
Reinhardt und sein Vater beugen sich über eine Europakarte, die sie auf dem großen Tisch im Wohnzimmer ausgebreitet haben, und stecken Fähnchen um. Sie sind konzentriert bei der Sache, es sind unruhige Zeiten, die Lage ist äußerst ernst. Die glorreiche Armee von Wilhelm II. ist durch Meutereien geschwächt, aber auch die französische Armee leidet unter massenhafter Befehlsverweigerung. Und Russland wurde von der bolschewistischen Revolution quasi überrollt. Glücklicherweise ist Deutschland nicht das rückständige Russland. Die germanische Zivilisation ruht auf so soliden Pfeilern, dass die Kommunisten sie nie umstürzen könnten. Weder die Kommunisten noch die Franzosen. Und die Juden schon gar nicht. In Kiel, München, Hamburg, Bremen und Berlin wird man mit deutscher Disziplin die Zügel der Vernunft, der Macht und des Kriegsgeschehens wieder in die Hand nehmen.
Doch da geht die Tür auf. Elisabeth, die Mutter, unterbricht das Geschehen im Zimmer. Sie ist völlig außer sich. Der Kaiser hat abgedankt. Die Republik wurde ausgerufen. Ein Sozialist wurde zum Reichskanzler ernannt. Man will den Waffenstillstand unterzeichnen.
Sprachlos vor Entsetzen und mit weit aufgerissenen Augen blickt Reinhardt seinen Vater fragend an. Der bringt nach schier endlosen Sekunden einen einzigen genuschelten Satz hervor: «Das ist nicht möglich.» Es ist der 9. November 1918.
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Ich weiß nicht, warum Heydrichs Vater Bruno Antisemit war. Dafür weiß ich, dass man ihn für einen sehr witzigen Mann hielt. Er war offenbar ein lustiger Kerl, eine echte Stimmungskanone. Es hieß, seine Witze seien viel zu lustig für einen, der kein Jude war. Zumindest dieses Argument hätte man nicht gegen seinen Sohn verwenden können, der sich nie durch einen besonders großen Sinn für Humor auszeichnete.
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Deutschland hat verloren, und seitdem herrscht Chaos im Land. Immer mehr Menschen sind der Überzeugung, dass die Juden und Kommunisten das Land in den Ruin treiben. Der junge Heydrich wagt einen halbherzigen Vorstoß, so wie viele andere auch. Er tritt dem Freikorps bei, jener Miliz, die sich als Ersatz für die Armee betrachtet und alles bekämpft, was links von der extremen Rechten steht.
Die paramilitärischen Organisationen des Freikorps haben sich dem Kampf gegen den Bolschewismus verschrieben und wähnen ihre Existenz durch die sozialdemokratische Regierung legitimiert. Mein Vater würde sagen, dass ihn das nicht im
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