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HHhH

HHhH

Titel: HHhH Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Binet Laurent
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nicht Gefahr, eine Szene wie aus einem Kitschroman einzufügen. Nicht, dass ich mich weigern würde, auch die menschlichen Aspekte eines Wesens wie Heydrich zu betrachten. Ich gehöre nicht zu denjenigen, die über den Film Der Untergang empört waren, weil dort (unter anderem) ein Hitler zu sehen ist, der seinen Sekretärinnen gegenüber freundlich ist und seinen Hund liebevoll behandelt. Ich nehme einfach an, dass Hitler von Zeit zu Zeit liebenswürdig sein konnte. Ich bezweifle auch nicht, dass Heydrich sich aufrichtig in seine zukünftige Frau verliebte, als er sie kennenlernte, zumindest schließe ich das aus den Faksimiles seiner Briefe an sie. Sie war damals eine junge Frau mit strahlendem Lächeln, die man durchaus als hübsch bezeichnen konnte, und noch weit entfernt von der Rabenmutter mit gestrengem Gesicht, die sie einmal werden sollte.
    Ein Biograph schildert ihre erste Begegnung mit Heydrich und verlässt sich dabei ganz auf Linas Erinnerungen – was dabei herauskommt, ist purer Kitsch: Lina ist auf einer Tanzveranstaltung und langweilt sich, weil zu wenig junge Herren anwesend sind. Sie befürchtet schon, dass der ganze Abend ein Reinfall wird, da werden sie und ihre Freundin von einem schwarzhaarigen Offizier angesprochen. Der Offizier ist in Begleitung eines schüchternen blonden jungen Mannes, der sich Hals über Kopf in Lina verliebt. Zwei Tage später folgt ein Rendezvous im Kieler Hohenzollernpark (sehr hübsch, ich habe Fotos davon gesehen) mit romantischem Spaziergang am See entlang. Am nächsten Tag ein Theaterbesuch, gefolgt von einem Schäferstündchen in einem gemieteten Zimmer, zumindest nehme ich an, dass sie dort miteinander geschlafen haben, auch wenn der Biograph diesbezüglich äußerst diskret bleibt: Die offizielle Version besagt, dass Heydrich in seiner schönsten Uniform aufkreuzt und sich beide nach dem Theaterbesuch noch ein Gläschen genehmigen. Schweigsam sitzen sie bei einem Glas Wein beisammen, als Heydrich Lina aus heiterem Himmel fragt: «Fräulein von Osten, wollen Sie meine Frau werden?» Verblüfft antwortet Lina: «Mein Gott, Herr Heydrich, Sie kennen ja überhaupt nicht meine Eltern, wissen nichts vom Beruf meines Vaters. Sie sind Seeoffizier und haben Ihr Reglement, Ihre Heiratsvorschriften.» An einer anderen Stelle habe ich gelesen, dass Lina zuvor den Schlüssel für ein Zimmer abgeholt hatte, und daraus geschlossen, dass sie an diesem Abend – entweder vor oder nach Heydrichs Heiratsantrag – den Liebesakt vollzogen. Wie sich später herausstellt, entstammt Lina von Osten einer (ein wenig deklassierten) Aristokratenfamilie und ist somit eine sehr gute Partie. Also wird geheiratet.
    Diese Geschichte bringt mich auf eine andere. Ich hatte schon keine Lust, die Szene auf der Tanzveranstaltung genauer zu beschreiben, das gilt erst recht für den Spaziergang durch den Park. Es wäre besser, keine weiteren Details zu kennen, damit ich gar nicht erst in Versuchung komme, sie zu erzählen. Wenn ich über Einzelheiten stolpere, mit deren Hilfe ich eine ganze Szene aus Heydrichs Leben minuziös nachbilden kann, fällt es mir oft schwer, dieser Versuchung zu widerstehen, selbst wenn die Szene an sich keine besondere Bedeutung hat. Ich nehme an, dass Linas Memoiren mit Geschichten dieser Art gespickt sind.
    Letzten Endes werde ich wohl auf das völlig überteuerte Buch verzichten können.
    Trotzdem hat etwas an der Geschichte des Kennenlernens der beiden Turteltäubchen mein Interesse geweckt: Der dunkelhaarige Offizier, der Heydrich begleitete, hieß von Manstein. Zunächst habe ich mich gefragt, ob es sich um den Manstein handelt, der während des Frankreich-Feldzugs die Ardennenoffensive ausklügelte und später Generalfeldmarschall an der russischen Front war – in Leningrad, Stalingrad und Kursk. Selbiger Manstein leitete 1943 das «Unternehmen Zitadelle», mit dem die Wehrmacht einem bevorstehenden Großangriff der Roten Armee zuvorkommen wollte. 1941 gab Manstein eine Erklärung ab, mit der er die Arbeit von Heydrichs Einsatzgruppen an der russischen Front rechtfertigte: «Für die Notwendigkeit der harten Sühne am Judentum, dem geistigen Träger des bolschewistischen Terrors, muss der Soldat Verständnis aufbringen. Sie ist auch notwendig, um alle Erhebungen, die meist von Juden angezettelt werden, im Keime zu ersticken.»
    Manstein starb 1973, was bedeutet, dass ich ein Jahr lang auf demselben Planeten gelebt habe wie er. Um ehrlich zu sein, ist die

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