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den Gegner und verlieren sich in der Luft, immerhin gelingt es ihm, in der Wertung wieder aufzuholen. Doch beim letzten Hieb tappt er in die offene Falle, er macht einen zu gewagten Vorstoß, sein Gegner pariert und startet einen Gegenangriff, bei dem er Heydrich am Kopf touchiert. Heydrich spürt, wie die Klinge des Gegners auf seinen Helm knallt. Er ist erledigt – in der ersten Runde. Vor lauter Wut zertrümmert er seinen Säbel auf dem Boden. Die Kampfrichter erteilen ihm eine Verwarnung.
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Der 1. Mai ist in Frankreich ebenso wie in Deutschland der Tag der Arbeit. Sein Ursprung geht auf den lange zurückliegenden Beschluss der Zweiten Internationale zurück, an diesem Tag des großen Arbeiterstreiks vom 1. Mai 1886 in Chicago zu gedenken. Doch an diesem Datum jährt sich auch ein Ereignis, dessen Bedeutung nicht auf der Stelle erkannt werden konnte und dessen Konsequenzen nicht absehbar waren. Es steht selbstverständlich nicht zur Debatte, diesen Jahrestag in irgendeinem Land zu feiern: Am 1. Mai 1925 schuf Hitler ein Elitekorps, das ursprünglich seinem eigenen Schutz dienen sollte. Diese Garde setzte sich aus übertrainierten Fanatikern zusammen, die äußerst strikten Rassekriterien entsprachen. Es handelte sich um die Schutzstaffel, die SS.
1929 verwandelte sich die Spezialgarde in eine richtige Miliz, eine paramilitärische Organisation, die Himmler unterstand. Nach der Machtübernahme 1933 erklärte er bei einer Ansprache in München, jeder Staat brauche eine Elite. Die Elite des nationalsozialistischen Staates sei die SS. In ihr würden sich auf der Grundlage rassischer Auslese – entsprechend den Anforderungen der Gegenwart – die deutsche Militärtradition, die deutsche Würde und Erhabenheit sowie die industrielle Leistungsfähigkeit der Deutschen verewigen.
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Ich habe mir immer noch nicht das Buch besorgt, das Heydrichs Frau nach dem Krieg geschrieben hat: Leben mit einem Kriegsverbrecher . Das Werk wurde noch nie übersetzt, weder ins Französische noch ins Englische. Ich schätze, dieses Buch könnte eine ergiebige Informationsquelle für mich sein, aber es gelingt mir einfach nicht, es mir zu beschaffen. Anscheinend ist das Buch äußerst selten, sein Preis liegt im Internet zwischen 350 und 700 Euro. Ich nehme an, dass die deutschen Neonazis aufgrund ihrer Faszination für Heydrich, einen Nazi, wie sie ihn sich selbst nicht perfekter hätten ausmalen können, für diesen exorbitanten Preis verantwortlich sind. Einmal habe ich ein Exemplar für 250 Euro gefunden und wollte die Verrücktheit begehen, es mir zu bestellen. Die deutsche Buchhandlung, die das Buch zum Verkauf anbot, akzeptierte allerdings keine Kartenzahlung, was sich schließlich als Segen für meinen Geldbeutel erwies. Um dieses kostspielige Exemplar zu bekommen, hätte ich meiner Bank den Auftrag für eine Überweisung auf ein deutsches Konto erteilen müssen. Zu diesem Zweck nannte man mir eine endlose Folge aus Zahlen und Buchstaben; die Transaktion konnte aber nicht direkt übers Internet stattfinden, ich hätte mich persönlich zu meiner Bank begeben müssen. Diese komplizierte Methode hätte wohl jeden normalen Menschen abgeschreckt, jedenfalls brachte sie mich letztlich davon ab, das Vorhaben weiterzuverfolgen. Abgesehen davon entsprechen meine Deutschkenntnisse dem Niveau eines Fünftklässlers (obwohl ich in der Schule acht Jahre lang Deutsch hatte), sodass die Investition sowieso von fragwürdigem Nutzen gewesen wäre.
Ich muss also ohne dieses wichtige Werk auskommen. Jedenfalls bin ich jetzt an dem Stadium der Geschichte angelangt, an dem ich von der Begegnung zwischen Heydrich und seiner Frau erzählen sollte. Zweifellos wäre mir das seltene und kostspielige Buch an keiner Stelle so hilfreich gewesen wie an dieser.
Wenn ich sage: «erzählen sollte», will ich damit natürlich nicht sagen, dass es absolut notwendig ist, von ihrer ersten Begegnung zu berichten. Ich könnte die gesamte Operation «Anthropoid» sehr gut erzählen, ohne ein einziges Mal den Namen Lina Heydrich zu erwähnen. Doch wenn ich die Figur des Heydrich lebendig darstellen will, und ich scheine ganz versessen darauf zu sein, finde ich es schwierig, die Rolle seiner Ehefrau während seines rasanten Aufstiegs in Nazideutschland einfach unter den Teppich zu kehren.
Zugleich bin ich dankbar dafür, um die romantische Version ihrer Zweisamkeit herumzukommen, die Frau Heydrich in ihren Memoiren sicherlich zum Besten gibt. So laufe ich
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