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Erleichterung zu verschaffen.
Am Abend wird eine Razzia von wahnwitzigem Ausmaß durchgeführt. 4500 Männer von SS, SD, NSKK, Gestapo, Kripo und Schupo sowie drei Wehrmachtsbataillone durchkämmen die Stadt. Unter Mitwirkung der tschechischen Polizei nehmen über 20 000 Männer an der Operation teil. Alle Zugangswege werden abgeriegelt, alle Verkehrsknotenpunkte blockiert, die Straßen gesperrt, die Gebäude durchsucht, die Menschen kontrolliert. Überall sehe ich bewaffnete Männer aus Truppentransportern herausspringen, im Gleichschritt von einem Gebäude zum nächsten laufen, die Treppenhäuser mit dem Geräusch trampelnder Stiefel und dem Klappern von Metall erfüllen, an Türen klopfen, Befehle auf Deutsch brüllen, Menschen aus den Betten reißen, ihre Wohnungen auf den Kopf stellen und sie herumschubsen und anbrüllen. Insbesondere die SS-Einheiten scheinen vollständig die Nerven verloren zu haben und jagen wie aufgescheuchte Hornissen durch die Straßen, schießen auf beleuchtete oder einfach nur geöffnete Fenster und rechnen jederzeit damit, zur Zielscheibe von Heckenschützen zu werden. Prag ist mehr als im Ausnahmezustand. Eher im Krieg. So, wie der Polizeieinsatz durchgeführt wird, stürzt er die Stadt in ein unbeschreibliches Chaos. 36 000 Wohnungen werden über Nacht durchsucht – mit einer angesichts des Aufwands lächerlichen Ausbeute. 541 Personen werden festgenommen, davon drei oder vier Stadtstreicher, eine Prostituierte, ein jugendlicher Kleinkrimineller und, immerhin, der Kopf einer kommunistischen Widerstandsbewegung, die aber keinerlei Verbindung zu «Anthropoid» hat. 430 werden sofort wieder freigelassen. Und von den im Untergrund lebenden Fallschirmspringern keine Spur. Es gibt nicht einen einzigen brauchbaren Anhaltspunkt. Gabčik, Kubiš, Valčík und ihre Freunde müssen eine merkwürdige Nacht hinter sich haben. Ich frage mich, ob auch nur einer von ihnen schlafen konnte. Das würde mich sehr wundern. Ich jedenfalls schlafe im Moment äußerst schlecht.
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Im zweiten Stock des Krankenhauses, das vollständig von allen anderen Kranken geräumt wurde, liegt Heydrich schwach, mit vernebelten Sinnen, schmerzendem Körper, aber bei Bewusstsein, in seinem Bett. Die Tür wird geöffnet. Ein Wachmann lässt Heydrichs Frau Lina eintreten. Heydrich versucht, ihr zuzulächeln, freut sich, dass sie da ist. Auch sie ist erleichtert, ihren bettlägerigen Mann zwar sehr blass, aber lebend vorzufinden. Als sie ihn am Tag zuvor direkt nach der Operation sah, bewusstlos und leichenblass, dachte sie, er sei tot; und als er erwachte, schien sein Zustand nur unwesentlich davon entfernt. Sie schenkte den beruhigenden Worten der Ärzte keinen Glauben. So, wie die Fallschirmspringer vermutlich kein Auge zugetan haben, hatte auch Lina keine gute Nacht.
Heute Morgen bringt sie ihrem Mann eine warme Suppe in einer Thermoskanne mit. Gestern noch Opfer eines Attentats, heute schon unter den Genesenden. Die blonde Bestie ist zäh. Er wird es schaffen, wie immer.
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Frau Moravec macht sich auf die Suche nach Valčík. Der mutige Eisenbahner, bei dem er übernachtet hat, will ihn nicht einfach so gehen lassen. Er gibt ihm ein Buch mit auf den Weg, hinter dem er sich in der Bahn verstecken kann: Dreißig Jahre Journalismus von H. W. Steed. Valčík bedankt sich bei ihm. Nachdem er gegangen ist, räumt die Frau des Eisenbahners sein Zimmer auf, und als sie sein Bett macht, entdeckt sie Blut auf dem Bettlaken. Ich weiß nicht, wie schwer er verletzt war, doch ich weiß, dass alle Ärzte im Protektorat unter Androhung der Todesstrafe verpflichtet wurden, der Polizei jede Schussverletzung zu melden.
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Krisensitzung hinter den schwarzen Mauern des Peček-Palais. Kommissar Pannwitz fasst zusammen: In Anbetracht der am Tatort zusammengetragenen Beweise kommt er zu dem vorläufigen Schluss, dass das Attentat von London aus geplant und von zwei Fallschirmspringern durchgeführt wurde. Frank ist der gleichen Ansicht. Doch der am Vortag ins Amt gesetzte Daluege glaubt, dass das Attentat im Gegenteil von einem organisierten nationalen Aufstand zeugt. Als Präventivmaßnahme ordnet er an, gnadenlos Erschießungen vorzunehmen und alle Polizeikräfte der Region zusammenzutrommeln, um die Polizeipräsenz in der Stadt zu erhöhen. Frank läuft grün an. Ganz offensichtlich trägt das Attentat Beneš’ Handschrift, und selbst wenn dem nicht so wäre – politisch gesehen ist es ihm egal, ob der innere Widerstand
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