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beteiligt ist oder nicht: Der Eindruck, es könne sich um eine nationale Revolte handeln, darf in der Weltöffentlichkeit gar nicht erst entstehen. Man muss erklären, dass es sich um eine Aktion von Einzeltätern handelt. Außerdem birgt eine Kampagne aus Massenverhaftungen und -erschießungen das Risiko, die industrielle Produktion zu destabilisieren. «Die essenzielle Bedeutung der tschechischen Industrie für das deutsche Kriegsgeschehen muss ich Ihnen, Herr Oberst-Gruppenführer, ja wohl nicht noch einmal ins Gedächtnis rufen.» (Warum habe ich diesen Satz erfunden? Zweifellos, weil er ihn tatsächlich geäußert hat.) Der Staatssekretär hatte bereits gehofft, nun sei seine Stunde gekommen. Stattdessen drückt man ihm diesen Daluege auf, der keinerlei Erfahrung als Staatsmann besitzt, keinerlei Einblick in das Geschehen im Protektorat hat und Prag wahrscheinlich nur mit Mühe und Not auf einer Karte finden konnte. Frank spricht sich gegen jegliche Gewaltdemonstration aus: Auf der Straße Terror zu verbreiten kann nicht schaden, das kann er zugestehen. Doch er hat bei den politischen Lektionen seines Meisters gut achtgegeben: keine Peitsche ohne Zuckerbrot. Die hysterische Razzia der letzten Nacht ist der beste Beweis für die Sinnlosigkeit derartiger Aktionen. Ein gutformulierter Aufruf zu großzügig honorierter Denunziation wird weit bessere Resultate erzielen.
Frank verlässt die Versammlung. Er hat genug Zeit mit Daluege verschwendet. Ein Flugzeug steht bereit, um ihn umgehend nach Berlin zu bringen, wo er sich mit Hitler treffen wird. Er hofft, dass das politische Genie des Führers nicht in dessen sprichwörtlichem Jähzorn verrauchen wird. Angesichts des gestrigen Telefonats sollte er überzeugend auftreten. Im Flugzeug bereitet Frank sorgfältig eine Aufstellung der Maßnahmen vor, die er zu treffen gedenkt. Um nicht als Weichling zu erscheinen, rät er dazu, die Stadt mit Panzern zu besetzen, Truppen aufmarschieren und einige Köpfe rollen zu lassen, aber, darauf weist er erneut hin, Massenrepressalien zu unterlassen. Stattdessen schlägt er vor, den Druck an Hácha und seine Regierung weiterzugeben, indem man ihnen androht, die Autonomie des Protektorats aufzuheben und den gesamten tschechischen Regierungsapparat unter deutsche Kontrolle zu bringen. Dazu alle üblichen Einschüchterungsmaßnahmen, Druck, Bestechung, Verleumdung etc., doch für den Augenblick nur in Form eines Ultimatums. Ideal wäre es, die Tschechen irgendwie dazu zu bringen, dass sie die Fallschirmspringer selbst ausliefern.
Pannwitz beschäftigen andere Dinge. Seine Domäne ist die Ermittlungsarbeit, nicht die Politik. Er arbeitet mit zwei von Berlin ausgesandten Kommissaren zusammen, die von den katastrophalen Ausmaßen des Chaos bei ihrem Eintreffen noch immer perplex sind. Daluege gegenüber erwähnen sie nichts davon, dafür beschweren sie sich bei Pannwitz, dass sie eine Eskorte benötigten, um sicher und wohlbehalten zu ihrem Hotel zu gelangen. Ihr Urteil über die aufgebrachten Bluthunde der SS ist eindeutig: «Die sind total verrückt. Bei dem Durcheinander, das die hier anrichten, finden sie selbst nicht wieder heraus, geschweige denn die Attentäter.» Es muss methodischer vorgegangen werden. In nicht einmal vierundzwanzig Stunden haben die drei Ermittler beachtliche Ergebnisse erzielt: Anhand der gesammelten Zeugenaussagen ist es ihnen möglich, den Ablauf des Attentats recht genau zu rekonstruieren, und sie besitzen eine, wenn auch noch etwas ungenaue (diese verdammten Zeugen sind sich nie einig, was sie gesehen haben!), Täterschreibung der beiden Terroristen. Doch es reicht längst nicht aus, um sie zu den Tätern zu führen. Also suchen sie weiter. Abseits der Aufregung auf den Straßen durchwühlen sie die Akten der Gestapo.
Und stoßen auf ein altes Foto, das man bei der Leiche des wackeren Morávek gefunden hat, des Anführers des zerschlagenen Widerstandsnetzes und letzten der Drei Könige, der vor zwei Monaten vor einer Tram erschossen wurde. Auf diesem Foto wirkt der sonst so gut aussehende Valčík ungewöhnlich aufgedunsen. Doch es handelt sich definitiv um Valčík. Die Polizeibeamten besitzen keinen einzigen Hinweis, dass dieser Mann mit dem Attentat in Verbindung steht. Sie haben die Wahl, sich dem nächsten Dossier zuzuwenden oder einfach auf gut Glück der Fotografie nachzugehen. Wären wir in einem Maigret, spräche man diesbezüglich von Flair.
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Hanka, eine junge tschechische Frau und
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