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HHhH

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Titel: HHhH Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Binet Laurent
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Ostfront im Einsatz, wo sie in diesem Frühling 1942 genug zu tun haben. Schließlich entscheiden sie sich, mit Kurt Daluege vorliebzunehmen, weil dieser sich praktischerweise aus gesundheitlichen Gründen in Prag befindet. Die Ironie des Schicksals will es, dass Daluege, Chef der Ordnungspolizei und frisch ernannter Oberst-Gruppenführer, ein direkter Rivale Heydrichs ist. Nur dass er nicht annähernd dessen Format besitzt. Für Heydrich ist er nichts als ein Dummkopf. Sollte Heydrich wieder zu sich kommen, wird er stinksauer sein. Sobald er wieder einsatzfähig ist, sollte man ihm eine Beförderung in Aussicht stellen.
    Und er kommt wieder zu sich. Die Operation ist gut verlaufen und der deutsche Chirurg ziemlich zuversichtlich. Er musste zwar die Milz entfernen, doch es gab keine Komplikationen. Das einzig Überraschende sind die seltsamen Pferdehaare in der Wunde, die sich überall im Körper verteilt haben. Die Ärzte brauchen eine Weile, um zu verstehen, woher die Haare kommen: Die mit Rosshaar gepolsterte Rückbank des Mercedes war aufgerissen worden. Es wurde eine Röntgenaufnahme gemacht, weil man befürchtete, dass kleine Metallsplitter lebenswichtige Organe durchdrungen haben könnten. Doch das ist nicht der Fall, und Prags deutscher Protektor beginnt wieder zu atmen. Lina hatte man erst um 15 Uhr Bescheid gegeben, sie sitzt an Heydrichs Seite. Er ist noch sehr geschwächt und bittet seine Frau mit brüchiger Stimme, sich um die Kinder zu kümmern. In diesem Moment scheint er sich seiner Zukunft nicht sehr gewiss zu sein.
    Tante Moravec ist außer sich vor Freude. Sie schaut bei der Hausmeisterfamilie vorbei und fragt, ob sie über Heydrich Bescheid wüssten. Ja, sie seien auf dem Laufenden, im Radio spreche man von nichts anderem. Doch dann wird die Seriennummer des zweiten Fahrrads genannt, das am Tatort zurückgelassen wurde. Ihres Fahrrads. Sie haben vergessen, die Nummer wegzufeilen. Sofort verwandelt sich ihre Freude in Wut. Leichenblass ärgert sie sich über die Nachlässigkeit der jungen Männer. Trotzdem ist sie nicht weniger entschlossen, ihnen zu helfen. Sie ist zwar zierlich, aber eine Frau der Tat, und jetzt ist keine Zeit für Klagen. Sie weiß nicht, wo sie stecken; sie muss sie finden. Unermüdlich, wie sie ist, macht sie sich auf den Weg.
    Überall in der Stadt werden zweisprachige rote Plakate aufgehängt, wie sie für Mitteilungen an die Bevölkerung verwendet werden. Die folgende Verkündung ist wahrscheinlich das Glanzstück der Sammlung:
    «1. Am 27. Mai 1942 wurde auf den stellvertretenden Reichsprotektor, den SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich, ein Attentat begangen.
    Auf die Ergreifung der Täter wird eine Belohnung von zehn Millionen Kronen ausgesetzt. Jeder, der den Tätern Unterkunft oder Hilfe gewährt bzw. Kenntnis von ihren Personen oder Unterkünften hat und es nicht zur Anzeige bringt, wird mit seiner ganzen Familie erschossen.
    2. Über den Bezirk des Oberlandrates in Prag wird vermittels dieser Nachricht im Rundfunk der zivile Ausnahmezustand verhängt. Es werden folgende Maßnahmen angeordnet:
    a) Der gesamten zivilen Bevölkerung ist es verboten, ab 27. Mai 21 Uhr bis zum 28. Mai 6 Uhr das Haus zu verlassen;
    b) Zur gleichen Zeit sind alle Gastwirtschaftsbetriebe, Lichtspielhäuser, Theater und andere öffentliche Vergnügungsstätten geschlossen zu halten und alle öffentlichen Verkehrsmittel einzustellen;
    c) Wer über dieses Verbot hinaus sich in der angeführten Zeit auf der Straße zeigt und nicht gleich der ersten Aufforderung zum Stehenbleiben gehorcht, wird erschossen;
    d) Weitere Maßnahmen bleiben vorbehalten und werden im Notfall durch den Rundfunk bekannt gegeben.»
     
    Ab 16:30 Uhr wird diese Ankündigung im deutschen Radio verlesen. Ab 17:00 Uhr strahlt das tschechische Radio sie alle halbe Stunde aus. Ab 19:40 Uhr alle zehn Minuten und von 20:20 Uhr bis 21:00 Uhr alle fünf Minuten. Ich nehme an, dass jeder, der an jenem Tag in Prag war und noch lebt, den gesamten Text noch heute aus dem Gedächtnis herunterbeten kann. Um 21:30 Uhr wird der Ausnahmezustand auf das gesamte Protektorat ausgedehnt. In der Zwischenzeit hat Himmler Frank zurückgerufen, um Hitlers neue Anweisungen zu bestätigen. Die hundert wichtigsten Persönlichkeiten unter den seit der Ankunft Heydrichs im September 1941 in Prag Inhaftierten seien umgehend zu exekutieren.
    Im Krankenhaus werden alle verfügbaren Morphinvorräte zusammengetragen, um dem bedeutenden Verletzten

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