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dabei um nicht mehr und nicht weniger als das Organigramm eines hypothetischen Ministerkabinetts. In dieser zukünftigen Regierung bleibt Hitler Reichskanzler, doch die Namen von Papen und Göring sind verschwunden. Stattdessen tauchen dort Röhm und die Namen seiner Freunde auf – von Schleicher, Strasser und Brüning.
Heydrich legt Hitler die Liste vor. Dem kommt das Dokument wie gerufen, gießt es doch Öl ins Feuer seiner paranoiden Ader. Er platzt beinahe vor Wut. Die uneinheitliche Zusammensetzung der Koalition verwundert ihn allerdings: von Schleicher zählte beispielsweise nie zu Röhms Freunden; im Gegenteil: Er hegt eine tiefe Abneigung gegen ihn. Doch Heydrich erklärt, General von Schleicher sei bei einem Gespräch mit dem französischen Botschafter gesehen worden, mit dem er ganz offensichtlich ein Komplott schmiede.
In Wahrheit zeigte dieses bunt zusammengewürfelte Bündnis in erster Linie, dass Heydrich seine Kenntnisse über Innenpolitik dringend aufpolieren musste, denn er war derjenige, der die Liste erstellt und unter die Leute gebracht hatte. Beim Ausarbeiten des Dokuments folgte er einem schlichten Prinzip: Er setzte ganz einfach die Namen der Feinde seiner beiden Vorgesetzten Himmler und Göring darauf.
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Von außen ist dem imposanten grauen Steingebäude nichts anzumerken. Lediglich das stete Kommen und Gehen lässt eine Aktivität erahnen, die über das normale Maß hinausgeht. Doch im Innern herrscht äußerste Geschäftigkeit: Männer eilen hin und her, aufgeregte Stimmen hallen im weißen Eingangsportal wider, auf allen Etagen werden Türen aufgerissen und zugeschlagen, in den Büros klingeln ununterbrochen die Telefone. Mitten in diesem aufgescheuchten SS-Ameisenhaufen spielt Heydrich schon jetzt seine beste Rolle: die des teuflischen Bürokraten. Er ist umgeben von Schreibtischen, Telefonen und Männern in schwarzen Uniformen, die Telefonhörer abnehmen und auflegen. Heydrich nimmt jedes Gespräch an:
«Hallo! Ist er tot? … Lassen Sie die Leiche vor Ort. Offiziell war es Selbstmord. Drücken Sie ihm Ihre Waffe in die Hand … Sie haben ihm in den Nacken geschossen? … Na ja, macht nichts. Selbstmord.»
«Hallo! Auftrag erledigt? … Sehr gut … Die Frau ebenfalls? … Gut, Sie sagen, sie hätten bei der Verhaftung Widerstand geleistet … Ja, die Frau auch! … Sie wollte sich dazwischenwerfen, das ist absolut glaubwürdig! … Die Hausangestellten? … Wie viele? … Nehmen Sie die Namen auf, wir kümmern uns darum.»
«Hallo! … Wie bitte? … In seinem Tennisverein? Er hat Tennis gespielt? … Er ist über die Hecken gesprungen und im Wald verschwunden? Wollen Sie sich über mich lustig machen? … Sie durchkämmen alles und finden ihn!»
«Hallo! … Wie – ein anderer? Wie – der gleiche Name? … Auch der gleiche Vorname? … Nun gut, bringen Sie ihn her, wir schicken ihn nach Dachau, bis wir den Richtigen gefunden haben.»
«Hallo! … Wo wurde er zum letzten Mal gesehen? … Im Hotel Adlon? … Dabei weiß doch jeder, dass die Bedienungen für uns arbeiten, was für ein Idiot! Er hat gesagt, er wollte sich stellen? … Umso besser. Fangen Sie ihn in seinem Haus ab und schicken Sie ihn zu uns.»
«Hallo! Geben Sie mir den Reichsführer! … Hallo? Ja, das ist erledigt … Ja, das ebenfalls … Die Sache läuft noch … Das ist erledigt … Und wie weit sind Sie mit Nummer eins? … Der Führer weigert sich? Aber weshalb? … Sie müssen den Führer um jeden Preis überzeugen! … Erinnern Sie ihn daran, dass er einen Ruf zu verlieren hat! An die unzähligen Skandale, die wir mühsam vertuschen mussten! Erinnern Sie ihn an den vergessenen Überseekoffer im Bordell! … Geht in Ordnung, ich rufe Göring umgehend an.»
«Hallo? Heydrich am Apparat. Der Reichsführer hat mir gesagt, dass der Führer den SA-Führer verschonen will! … Sicher, auf keinen Fall! … Sagen Sie ihm, dass die Armee das niemals hinnehmen wird! Wir haben Offiziere der Reichswehr hingerichtet: Wenn Röhm am Leben bleibt, wird sich Blomberg weigern, die Aktion zu unterstützen! … Ja, richtig, eine Frage der Gerechtigkeit, ganz genau! … In Ordnung, ich warte auf Ihren Anruf.»
Ein SS-Mann betritt den Raum. Er wirkt besorgt. Er geht auf Heydrich zu und flüstert ihm etwas ins Ohr. Beide verlassen das Zimmer. Fünf Minuten später kehrt Heydrich allein zurück. Sein Gesichtsausdruck verrät nichts. Er nimmt seine Telefongespräche wieder
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