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auf.
«Hallo! … Verbrennen Sie die Leiche! Die Asche schicken Sie seiner Witwe!»
«Hallo! … Nein, Göring will nicht, dass wir Hand anlegen. Sie umstellen ihn mit sechs Mann! … Es kommt keiner mehr rein und keiner mehr raus!»
«Hallo! …» Und so weiter.
Gleichzeitig füllt er gewissenhaft kleine weiße Karteikarten aus.
Diese Szene dauert ein ganzes Wochenende lang.
Schließlich erhält er die Nachricht, auf die er gewartet hat: Der Führer hat nachgegeben. Er wird den Befehl erteilen, Röhm hinzurichten, den Chef der Sturmabteilung, seinen ältesten Verbündeten. Röhm ist auch der Patenonkel von Heydrichs Erstgeborenem, aber in erster Linie ist er Himmlers direkter Vorgesetzter. Indem sie die Führungsriege der SA exekutieren lassen, setzen Himmler und Heydrich die SS frei. Sie wird eine autonome Organisation, die sich nur Hitler gegenüber verantworten muss. Heydrich wird zum Gruppenführer ernannt. Er ist dreißig Jahre alt.
39
Am Samstag, dem 30. Juni 1934, sitzt Gregor Strasser mit seiner kleinen Familie beim Mittagessen, als es an der Haustür klingelt. Acht bewaffnete Männer stehen davor, um ihn festzunehmen. Sie geben ihm nicht einmal die Zeit, sich von seiner Frau zu verabschieden, und bringen ihn zum Sitz der Gestapo. Dort sperrt man ihn ohne vorheriges Verhör direkt in eine Zelle, in der sich bereits mehrere SA-Mitglieder befinden. Sie drängen sich um ihn herum und wollen wissen, ob es stimmt, dass er schon seit mehreren Monaten keinerlei politische Verantwortung mehr trägt. Seine gehobene Stellung als alter Verbündeter des Führers verleiht ihnen Zuversicht. Er selbst kann sich nicht erklären, was er unter ihnen zu suchen hat, doch er ist nur allzu gut mit den geheimen Machenschaften der Partei vertraut, um anzunehmen, dass die Gründe für seine Anwesenheit in erster Linie willkürlich und irrational sind.
Um 17:00 Uhr holt ihn ein SS-Mann ab und bringt ihn in eine Einzelzelle mit einer großen Luke. Strasser, jetzt in Isolationshaft, weiß nicht, dass die Nacht der langen Messer begonnen hat, doch er kann sich den groben Verlauf in etwa ausmalen. Ihm ist nicht klar, ob er um sein Leben bangen muss. Sicher, er ist eine historische Figur innerhalb der Partei, und die gemeinsam ausgefochtenen Kämpfe haben ihn und Hitler zusammengeschweißt. Immerhin saßen sie nach dessen Putschversuch gemeinsam in München im Gefängnis. Er weiß aber auch, dass Hitler nicht gerade sentimental ist. Und auch, wenn er nicht darauf kommt, inwiefern er für Hitler eine Gefahr darstellen könnte, die mit der vergleichbar ist, die von Röhm oder von Schleicher ausgeht, ist die unberechenbare Paranoia des Führers mit einzukalkulieren. Strasser versteht schnell, dass er äußerste Vorsicht walten lassen muss, wenn er mit heiler Haut davonkommen möchte.
Während er noch überlegt, nimmt er plötzlich einen Schatten hinter sich wahr. Mit dem sicheren Instinkt eines erfahrenen Soldaten begreift er augenblicklich, dass er in Gefahr schwebt, und duckt sich genau in dem Moment, als sich ein Schuss löst. Jemand hat einen Arm durch die Luke gestreckt und aus nächster Nähe auf ihn gezielt. Strasser hat sich zwar geduckt, aber nicht schnell genug. Er sinkt zusammen.
Während er bäuchlings auf dem Boden seiner Zelle liegt, hört er, wie die Tür entriegelt wird, das Geräusch von Stiefeln, die um ihn herumschreiten, er spürt den Atem eines Mannes im Nacken, der sich über ihn beugt, dann vernimmt er Stimmen:
«Er lebt noch.»
«Was machen wir jetzt? Geben wir ihm den Rest?»
Er hört das Klacken einer Pistole, die durchgeladen wird.
«Warten Sie hier. Ich erkundige mich.»
Ein Stiefelpaar entfernt sich. Ein Moment verstreicht. Die Stiefel kehren in Begleitung zurück. Klackende Absätze beim Eintreffen des neuen Mannes. Stiefel durchqueren eine Pfütze. Stille. Und plötzlich diese Krächzstimme, die er unter Tausenden erkennen würde und die ihm das Blut in den Adern gefrieren lässt:
«Ist er noch nicht tot? Lasst das Schwein verbluten!»
Die letzte menschliche Stimme, die Strasser vor seinem Tod hört, ist die von Heydrich. Wobei von «menschlich» eigentlich keine Rede sein kann …
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Fabrice ist bei mir zu Besuch, und wir unterhalten uns über mein zukünftiges Buch. Er ist ein Studienkollege, der sich wie ich für Geschichte begeistert und neben vielen weiteren Qualitäten auch die besitzt, sich für das, was ich schreibe, zu interessieren. Es ist ein Sommerabend, und wir essen auf
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