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genauerer Betrachtung von Heydrichs Fotos erkannt, dass er nicht nur alles andere als ein modischer Überflieger war, sondern zudem gewisse Züge besaß, die mit den Kriterien für ein arisches Äußeres nicht im mindesten übereinstimmten: volle Lippen, die zugegebenermaßen nicht einer gewissen Sinnlichkeit entbehren, aber fast schon negroid wirken, dazu eine lange Habichtsnase, die durchaus als Zinken durchgegangen wäre, hätte sie ein Jude im Gesicht gehabt. Wenn man dann noch Heydrichs große Segelohren und das langgezogene Gesicht betrachtet, über dessen pferdeartigen Charakter sich alle einig sind, erhält man ein Resultat, das nicht unbedingt hässlich, aber weit von den Maßstäben der Rassenlehre Gobineaus entfernt ist.
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Die Heydrichs haben vor kurzem eine hübsche Wohnung in München bezogen, die Lina gut gefällt (ich gebe zu, ich habe mir letzten Endes doch ihr Buch gekauft und es mir auszugsweise von einer jungen russischen Studentin übersetzen lassen, die in Deutschland aufgewachsen ist. Ich hätte sicher auch eine deutsche Studentin gefunden, aber so, wie es ist, ist es gut). Sie haben sich in Unkosten gestürzt, um ihre Gäste fürstlich zu bewirten. Heute Abend empfangen sie Himmler und einen weiteren bedeutenden Gast zum Abendessen: Ernst Röhm höchstpersönlich, den Chef der SA. Äußerlich ähnelt er einem Schwein: dicker Bauch, Riesenschädel, kleine, innen liegende Augen, ein Stiernacken, um den sich ein Ring aus Speck schlängelt, dazu eine verstümmelte, schnauzenartige Stulpnase – sein Andenken an 14–18. Er benimmt sich auch wie ein Schwein und ist stolz auf seine Soldatenmanieren. Doch er ist das Oberhaupt einer paramilitärischen Kampftruppe, bestehend aus über 400 000 Braunhemden, und mit Hitler angeblich per du. In den Augen der Heydrichs also ein durchaus prestigeträchtiger Kontakt. Und tatsächlich verbringen sie einen höchst geselligen Abend miteinander. Es wird viel gelacht. Nach einem guten Essen, das die Frau des Hauses gezaubert hat, möchten die Herren bei einem Digestif rauchen. Lina bringt ihnen Streichhölzer und verschwindet dann im Keller, um einen Cognac für die Herren zu holen. Plötzlich hört sie eine Detonation. Sie eilt die Stufen hinauf und begreift: Vor lauter Eifer, ihre hohen Gäste zufriedenzustellen, hat sie die normalen Streichhölzer mit den Knallstreichhölzern von Silvester verwechselt. Alle brechen in schallendes Gelächter aus. Fehlen nur noch die aufgezeichneten Lacher.
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Gregor Strasser ist ein langjähriger Weggefährte von Hitler, Gründungsmitglied der NSDAP und Leiter der Berliner Arbeiterzeitung, die er 1925 nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis gründete. Sein Prestige und seine Position sind zweifellos eine Erklärung dafür, warum man sich in gewissen Angelegenheiten an ihn wendet. Eine solche Angelegenheit, die nicht einfach von der lokalen Zweigstelle der Partei geregelt werden konnte, war die folgende: 1932 ist es nicht ungefährlich, einen höheren SS-Offizier in Frage zu stellen, nicht einmal für einen ranghohen Nazifunktionär, und der zunehmende Einfluss des schwarzen Ordens gemahnt zur Vorsicht. Daher entschließt sich der Gauleiter von Halle-Merseburg, der von seinen Beratern in Alarmbereitschaft versetzt wurde, ein delikates Dokument an Strasser weiterzuleiten. In der alten Ausgabe einer Musikenzyklopädie hatte man folgenden Eintrag gefunden: «Heydrich, Bruno, mit wirklichem Namen Süss.»
Somit wäre Himmlers neuer Schützling der Sohn eines Juden! Gregor Strasser will beweisen, dass man noch auf ihn zählen kann, und beraumt eine Untersuchung an. Will er sich den Wolfspelz eines jungen Aufsteigers als Trophäe beschaffen? Will er seinen Stern wieder zum Leuchten bringen, der innerhalb seiner eigenen Partei zu verblassen droht? Oder befürchtet er tatsächlich, das «jüdische Geschwür» könnte sich in den Nazi-Apparat einschleusen? Jedenfalls schickt er einen Bericht nach München, der auf Himmlers Schreibtisch landet.
Himmler ist konsterniert. Er hat bereits die Gelegenheit genutzt, die Verdienste seines neuen Rekruten gegenüber dem Führer herauszustellen, und bangt um seine eigene Glaubwürdigkeit, sollte sich die Anschuldigung als begründet erweisen. Aufmerksam verfolgt er die Untersuchung der Partei. Die Zweifel hinsichtlich der väterlichen Linie werden schnell fallengelassen: Süss ist der Name des zweiten Ehemannes von Heydrichs Großmutter, mit dem er nicht verwandt ist. Abgesehen davon war
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