HHhH
Geheimdienst des Heeres, der Abwehr von Admiral Canaris, Heydrichs ehemaligem Gönner bei der Marine. Und wo Heydrich schon einmal da ist, verlangt Himmler, dass er seine Vorstellungen vom Aufbau eines Nachrichtendienstes grob skizziert. «Sie haben zwanzig Minuten.»
Heydrich möchte nicht sein Leben lang Segellehrer bleiben. Also konzentriert er sich und kramt sein gesamtes Wissen über die Materie hervor. Dieses beschränkt sich hauptsächlich auf das, was er von den zahlreichen englischen Spionageromanen, die er seit Jahren verschlingt, im Kopf behalten hat. Doch daran soll es nicht scheitern! Heydrich hat begriffen, dass Himmler noch weniger Ahnung hat als er selbst, also beschließt er, zu bluffen. Er zeichnet ein paar Diagramme und wirft mit so vielen militärischen Fachbegriffen wie möglich um sich. Es klappt. Himmler ist beeindruckt. Er vergisst seinen zweiten Kandidaten, den Doppelagenten aus Weimar, und engagiert den jungen Mann für ein Gehalt von 1800 Reichsmark pro Monat, das Sechsfache von Heydrichs bisherigem durchschnittlichem Lohn seit seinem Ausschluss aus der Marine. Heydrich wird sich in München niederlassen. Die Grundsteine des düsteren SD sind gelegt.
29
SD: Sicherheitsdienst. Die am wenigsten bekannte und schlimmste unter den Nazi-Organisationen, einschließlich der Gestapo. Anfangs nur eine kleine Schreibstube mit begrenzten Mitteln: Heydrich sortiert seine ersten Karteien in Schuhkartons und verfügt über ein halbes Dutzend Agenten. Den Geist des Nachrichtendienstes jedoch hat er schon voll und ganz verinnerlicht: alles wissen, über alles und jeden. Ohne Ausnahme. In dem Maße, in dem der SD sein Netz ausweitet, entdeckt Heydrich seine außergewöhnliche Begabung für Bürokratie, die Königsdisziplin für die Leitung eines gut funktionierenden Spionagenetzwerks. Seine Devise lautet fortan: Karteikarten! Karteikarten! Und noch mehr Karteikarten! In allen Farben. Für jeden Einsatzbereich. Heydrich hat Blut geleckt. Information, Manipulation, Bestechung und Spionage werden seine Drogen.
Dazu gesellt sich ein leicht kindischer Größenwahn. Als Heydrich mitbekommt, dass sich der Chef des englischen Geheimdienstes M nennen lässt (ja, wie in James Bond ), beschließt er, sich ganz nüchtern H nennen zu lassen. Es ist sozusagen sein erstes wirkliches Alias vor der Ära seiner Beinamen, die man ihm in Kürze verpassen wird: «der Henker», «der Schlächter», «die blonde Bestie» und «der Mann mit dem eisernen Herzen» – letzteren hat sich Hitler höchstpersönlich für ihn ausgedacht.
Ich glaube nicht, dass sich die Bezeichnung H bei seinen Mitstreitern durchgesetzt hat (sie bevorzugten die vielsagendere Bezeichnung «die blonde Bestie»). Die Vielzahl eminenter H, die in der Hierarchie über ihm standen, hätte zweifellos zu unglücklichen Verwechslungen geführt: Heydrich, Himmler, Hitler … wahrscheinlich verzichtete Heydrich letztlich vorsichtshalber auf diese Albernheit. Wobei H wie Holocaust ein wunderbar reißerischer Titel für seine Biographie gewesen wäre.
30
Natacha blättert gedankenverloren in einer Ausgabe des Magazine littéraire , die sie mir liebenswürdigerweise geschenkt hat. Sie bleibt bei der Besprechung eines Buches hängen, das dem Leben von Johann Sebastian Bach gewidmet ist. Der Artikel beginnt mit einem Zitat des Autors, das Natacha mir lächelnd vorliest: «Welcher Biograph träumt nicht davon, mit Bestimmtheit sagen zu können: Jesus von Nazareth hatte die Angewohnheit, beim Nachdenken die linke Augenbraue hochzuziehen?»
Im ersten Moment wird mir die Bedeutung dieses Satzes nicht richtig bewusst, und ich mache innerlich meiner tiefsitzenden Abneigung gegen realistische Romane Luft: Pfui Teufel! Dann bitte ich Natacha, mir die Zeitschrift zu reichen, und lese das Zitat noch einmal. Ich muss zugeben, dass ich tatsächlich gerne derartige Details über Heydrich kennen würde. Lachend ruft Natacha: «Ja, ich kann mir nur allzu gut vorstellen, wie du schreibst: ‹Heydrich besaß die Angewohnheit, beim Nachdenken die linke Augenbraue hochzuziehen!›»
31
Für Sympathisanten des Dritten Reiches verkörperte Heydrich stets den Arier schlechthin, weil er groß und blond war und feine Gesichtszüge besaß. Die wohlmeinenden Biographen beschreiben ihn im Allgemeinen als hübschen jungen Mann und charmanten Verführer. Wären sie ehrlich oder vom leicht anrüchigen Nervenkitzel des Nationalsozialismus nicht völlig verblendet gewesen, hätten sie bei
Weitere Kostenlose Bücher