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Angriff.
Von alldem wusste ich noch nichts, als ich Eric Rohmers Film Triple Agent sah. Den Entschluss, mich ernsthaft mit der Sache zu beschäftigen, fasste ich erst, als ich hörte, wie der Hauptcharakter, General Skoblin, ein in Paris untergetauchter russischer Weißgardist, zu seiner Frau sagte: «Ich habe dir doch von meinem Treffen mit dem Chef des deutschen Sicherheitsdienstes in Berlin erzählt, einem gewissen Heydrich, erinnerst du dich? Es gab da eine Sache, über die ich nicht mit ihm reden wollte: über mein heimliches Treffen mit meinem Kameraden Tuchatschewski in Paris, bevor dieser seine Reise Richtung Westen zum Staatsbegräbnis des Königs von England antrat. Er hat mir zwar nicht sein Herz ausgeschüttet, doch aus seinen sehr verhaltenen Äußerungen konnte ich trotzdem einige Schlüsse ziehen. Die Gestapo muss von dem Treffen Wind bekommen haben. Heydrich stellte mir mit undurchschaubarem Gesichtsausdruck Fragen dazu. Ich wich seinen Fragen aus, er bedachte mich mit einem eisigen Blick und beließ es dabei.»
Heydrich in einem Rohmer, darüber komme ich immer noch nicht hinweg.
Während der Fortsetzung dieses Gesprächs fragt Skoblins Frau:
«Und warum hat sich dieser Herr Heydrich dafür interessiert?»
Skoblin antwortet schlicht:
«Nun, die Deutschen hatten natürlich großes Interesse daran, den Chef der Roten Armee zu kompromittieren, von dem sie bereits wussten, dass er sich bei Stalin unbeliebt gemacht hatte … zumindest nehme ich das an.»
In der Folge streitet Skoblin jegliche Verbindung zu den Nazis ab, und auch Rohmer scheint dieser Ansicht zu sein, obwohl der Regisseur sich große Mühe gibt, die Zwiespältigkeit seines Hauptdarstellers (weiß, rot, braun?) herauszuarbeiten. Doch mir fällt es schwer zu glauben, dass Skoblin sich die Mühe machte, Heydrich in Berlin zu treffen, um ihm überhaupt nichts zu erzählen.
Ich glaube vielmehr, dass Skoblin Heydrich getroffen hat, um ihn darüber zu unterrichten, dass Tuchatschewski ein Komplott gegen Stalin schmiedete. Tatsächlich handelte Skoblin im Auftrag des Innenministeriums, des NKWD, also für Stalin selbst. Mit welchem Ziel? Das Gerücht eines Komplotts zu verbreiten, um Tuchatschewski glaubwürdig des Hochverrats beschuldigen zu können (eine Anschuldigung, die in Wirklichkeit jeder Grundlage entbehrte).
Hat Heydrich Skoblin geglaubt? Auf jeden Fall sieht er es als Gelegenheit, einen gefährlichen Gegner des Reichs auszuschalten: Mit Tuchatschewskis Hinrichtung sollte die Rote Armee 1937 ihren führenden Kopf verlieren. Heydrich beschließt, das Gerücht zu untermauern. Er weiß, dass eine solche Affäre eigentlich in den Zuständigkeitsbereich von Canaris’ Abwehr fällt, weil es sich um eine militärische Angelegenheit handelt. Doch berauscht von der Tragweite seines Projekts, gelingt es ihm, nicht nur Himmler, sondern auch Hitler zu überzeugen, ihm die Feinarbeit dieser pikanten Angelegenheit anzuvertrauen. Dafür ruft er seinen besten Handlanger zu Hilfe, Alfred Naujocks, der gewöhnlich die Drecksarbeit für ihn erledigt. Drei Monate lang beschäftigt sich Naujocks mit dem Zusammentragen von gefälschten Fakten, um den russischen Marschall zu kompromittieren. Er muss nicht lange suchen: Er durchwühlt einfach die Archive der Weimarer Republik; zu jener Zeit unterhielten die beiden Länder noch partnerschaftliche diplomatische Beziehungen, und es gab jede Menge offizieller Dokumente, die Tuchatschewskis Unterschrift trugen.
Als das Dossier fertiggestellt ist, beauftragt Heydrich einen seiner Männer, es einem Agenten des NKWD zu verkaufen. Die Übergabe ist ein Meisterspiel des gegenseitigen Betrugs: Der Russe kauft dem Deutschen das gefälschte Dossier mit falschen Rubeln ab. Jeder glaubt, den anderen zu überlisten, jeder betrügt jeden.
Letzten Endes erhält Stalin, was er will: Beweise dafür, dass sein ernsthaftester Gegner einen Staatsstreich vorbereitet. Die Historiker messen Heydrichs Ränkespiel in dieser Angelegenheit keine große Bedeutung bei, doch es ist auffällig, dass das Dossier im Mai 1937 übermittelt und Tuchatschewski im Juni hingerichtet wurde. Meiner Ansicht nach deutet das kurze Aufeinanderfolgen dieser Ereignisse darauf hin, dass die eine Aktion die andere bedingte.
Wer hat letztlich wen betrogen? Ich denke, dass Heydrich Stalins Interessen dienlich war, denn er ermöglichte es ihm, den einzigen Mann loszuwerden, der ihm wirklich hätte gefährlich werden können. Doch dieser Mann war
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