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alten Böhmen, östlich von Prag, liegt an der Straße Richtung Olomouc (Olmütz) das Städtchen Kutná Hora (Kuttenberg). Seine Altstadt wurde von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt und besitzt hübsche Gassen, eine prächtige gotische Kathedrale und vor allem ein sagenhaftes Beinhaus, das Sedlitz-Ossarium. In dieser wirklich kuriosen Örtlichkeit sind aus zusammengefügten menschlichen Schädeln und Knochen totenbleiche Gewölbe und Spitzbögen errichtet worden.
Im Jahr 1237 ahnt Kutná Hora noch nicht, dass es einen ansteckenden Bazillus in seinen Eingeweiden trägt: die Weltgeschichte. Sie schickt sich an, ein neues langes und grausames Kapitel aufzuschlagen, dessen ironischen Ausgang nur sie kennt. Es umfasst ganze siebenhundert Jahre.
Wenzel I., Sohn von Ottokar I. Přemysl, aus der glorreichen Dynastie der Přemysliden, herrscht über das Gebiet von Böhmen und Mähren. Der Fürst hat die deutsche Prinzessin Kunigunde geheiratet. Als Tochter Philipps von Schwaben, seinerseits Waiblinger und römisch-deutscher König, ist sie verwandt mit dem berüchtigten Geschlecht der Hohenstaufen. In der Fehde zwischen den mit dem Papst verbündeten Welfen und den kaisertreuen Waiblingern entscheidet sich Wenzel für das Lager des heiligen römisch-germanischen Reiches. Auch wenn ihm in der Folge die päpstliche Kurie einige Rückschläge zufügt, kann er durch diese Allianz seine Macht weiter festigen. Einstweilen schmückt der Löwe mit dem Doppelschweif das königliche Wappen und ersetzt den alten Flammenadler. Überall im Land werden Burgen erbaut, die den Geist des Rittertums atmen.
Prag wird bald seine Altneu-Synagoge bekommen.
Kutná Hora ist zu diesem Zeitpunkt nicht mehr als ein kleiner Marktflecken, nicht gerade eine europäische Metropole.
Die folgende Szene gleicht einem mittelalterlichen Western. Sie spielt bei Anbruch der Nacht. In einer lärmerfüllten Schänke sitzen Einwohner Kutná Horas und vereinzelte Reisende. Die Stammgäste trinken und scherzen mit den Mägden und kneifen sie in den Hintern, die Reisenden sind müde und essen schweigend, die Halunken beobachten das Geschehen und bereiten im Geiste ihre Missetaten vor, während sie ihr Glas kaum anrühren. Draußen regnet es, und aus dem benachbarten Gestüt hört man Pferde wiehern. Auf der Türschwelle erscheint ein alter Mann mit weißem Bart. Sein einfaches Gewand ist durchnässt, seine Schuhe sind schlammbedeckt, von seinem Stoffhut tropft Regenwasser. In Kutná Hora kennt ihn jeder, er ist ein alter Verrückter aus den Bergen, und niemand schenkt ihm besondere Beachtung. Er bestellt etwas zu trinken und zu essen, dann noch etwas zu trinken. Er verlangt, dass man ein Schwein schlachtet. An den Nachbartischen erstirbt das Gelächter. Misstrauisch fragt der Wirt, ob er das Schwein bezahlen kann. Da leuchtet ein Funke des Triumphs in den Augen des alten Mannes auf. Er legt eine kleine Börse aus abgewetztem Leder vor sich auf den Tisch und öffnet gemächlich die Schnüre. Dann zieht er ein gräuliches Steinchen daraus hervor, das er dem Wirt mit gespielter Unbekümmertheit zur Begutachtung überlässt. Der Wirt runzelt die Stirn, hält den Stein ins Licht der Wandfackeln und nimmt ihn genau in Augenschein. Ein Hauch von Ungläubigkeit überzieht sein Gesicht, und auf einmal tritt er beeindruckt einen Schritt zurück. Er hat das Metall erkannt. Es ist ein Stück Silbererz.
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Ottokar II. Přemysl, Sohn von Wenzel I., trägt genau wie sein Großvater den Namen seines Ahnen. Přemysl der Pflüger war vor Urzeiten von Königin Libuše, der legendären Gründerin Prags, zu ihrem Gatten auserkoren worden. Mehr als jeder andere aus dem Haus der Přemysliden (mit Ausnahme seines Großvaters) fühlte sich Ottokar II. dazu berufen, seinem Königreich zu mehr Glanz zu verhelfen. Und in diesem Punkt kann ihm niemand vorwerfen, sich als der Aufgabe unwürdig erwiesen zu haben: Dank seiner Silbererzvorkommen hat Böhmen zu Beginn der Herrschaft Ottokars II. ein mittleres Jahreseinkommen von 100 000 Silbermark, was die Region im 13. Jahrhundert zu einer der reichsten Europas macht, fünfmal reicher als beispielsweise Bayern.
Doch der «König des Eisens und des Goldes» – ein Name, der dem Metall, auf dem sein Reichtum basiert, unrecht tut – möchte sich, wie es bei Königen nun einmal üblich ist, nicht mit dem zufriedengeben, was er hat. Er weiß, dass der Wohlstand des Königreiches eng mit seinen Silberminen verknüpft ist, und er
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