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HHhH

HHhH

Titel: HHhH Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Binet Laurent
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Bedenken, seinen Anweisungen zuwiderzuhandeln. Interessant, wenn man bedenkt, dass der Befehlsgehorsam im Namen der militärischen Ehre und des abgelegten Eids das einzige Argument war, das nach dem Krieg herangezogen wurde, um all ihre Verbrechen zu rechtfertigen.

50
    Die Nachricht vom Anschluss schlägt ein wie eine Bombe. Österreich hat endlich «beschlossen», sich Deutschland «wieder anzuschließen». Der Anschluss ist der erste Schritt auf dem Weg zur Bildung des Dritten Reiches. Diesen Zaubertrick wird Hitler bald wiederholen: ein Land im Schnellverfahren und ohne große Mühe zu erobern.
    Europa erzittert unter der Wucht der Neuigkeiten. Oberst Moravec befindet sich zu diesem Zeitpunkt in London und möchte natürlich am liebsten auf der Stelle nach Prag zurückkehren, doch kein Flugzeug ist verfügbar. Immerhin gelingt es ihm, nach Frankreich zu fliegen, er landet in La Hague. Er beschließt, die Reise mit dem Zug fortzusetzen. Der Zug ist ein gutes Fortbewegungsmittel, doch es gibt trotzdem ein kleines Problem. Um nach Prag zu gelangen, muss man von Frankreich kommend Deutschland durchqueren.
    Unglaublicherweise beschließt Moravec, das Risiko auf sich zu nehmen.
    So ergibt sich die bizarre Situation, dass am 13. März 1938 der Chef des tschechischen militärischen Nachrichtendienstes eine mehrstündige Zugreise durch Nazideutschland unternimmt.
    Ich versuche, mir diese Reise vorzustellen. Moravec ist natürlich bemüht, sich so unauffällig wie möglich zu verhalten. Er spricht selbstverständlich Deutsch, aber ich bin nicht sicher, ob sein Akzent über jeden Zweifel erhaben ist. Andererseits befindet sich Deutschland noch nicht im Krieg. Hitlers Reden über das internationale Judentum und den Feind im Innern haben die Deutschen zwar aufgestachelt, doch sie sind noch nicht so in Habtachtstellung wie zu späteren Zeiten. Trotzdem kauft Moravec den Fahrschein bei dem Schalterbeamten, der ihm am freundlichsten erscheint oder möglichst zurückgeblieben wirkt.
    Nachdem er in den Zug eingestiegen ist, begibt er sich vermutlich auf die Suche nach einem leeren Abteil und wählt seinen Platz aus:
    1. am Fenster, um eventuell zusteigenden Fahrgästen den Rücken zudrehen zu können, damit sie gar nicht erst versuchen, ihn in ein Gespräch zu verwickeln. Während er so tut, als blicke er aus dem Fenster, kann er das Abteil in der Fensterscheibe überwachen.
    Oder
    2. an der Tür, um das Kommen und Gehen auf dem Gang des Zugwaggons zu beobachten.
    Entscheiden wir uns für die Nähe zur Tür.
    Ich weiß auf jeden Fall, dass er sich sicher war – die Bedeutung seiner Person war ihm wohl bewusst, und wahrscheinlich war er auch ziemlich stolz darauf –, dass die Gestapo einiges dafür gegeben hätte zu wissen, wen die Deutsche Reichsbahn an jenem Tag beförderte.
    Jede Bewegung im Wagen zerrt an seinen Nerven.
    Jeder Halt an einem Bahnhof.
    Von Zeit zu Zeit steigt jemand in den Zug ein und setzt sich zu ihm ins Abteil, und schon bald ist es voll besetzt mit Menschen, die Moravec verdächtig erscheinen müssen. Ärmlich gekleidete Menschen und Familien beunruhigen ihn weniger als gutgekleidete Herren.
    Ein Mann betritt den Gang. Er trägt keinen Hut, und dieses Detail lässt Moravec stutzig werden. Er muss an seine Studienreise durch die UDSSR denken, während der man ihm anvertraute, dass ein Mann ohne Hut nur ein Mitglied des NKWD oder ein Ausländer sein kann. Was es wohl in Deutschland bedeutet, wenn ein Mann keinen Hut trägt?
    Sicherlich muss er mehrmals umsteigen, Anschlusszüge bekommen, stundenlang warten – alles zusätzlicher Stress. Moravec hört, wie die Zeitungsverkäufer hysterisch und triumphierend die Schlagzeilen herausbrüllen. Er stellt sich mehrmals am Schalter an, um das endgültige Ziel seiner Reise so lang wie möglich geheim zu halten.
    Dann gelangt er an den Zoll. Ich gehe davon aus, dass Moravec gefälschte Papiere besaß, weiß aber nicht, welche Nationalität darin angegeben war. Vielleicht waren seine Papiere aber auch gar nicht gefälscht, schließlich hatte er sich zuvor in London aufgehalten und seine Mission mit den britischen Autoritäten abgeklärt. Vor seinem Aufenthalt in London hatte er einige Tage im Baltikum verbracht, um seinen Mitstreitern vor Ort einen Besuch abzustatten, wie ich glaube. Er benötigte also eigentlich keine Tarnung, und vielleicht hatte er sich auch keine zugelegt.
    Vielleicht gab der Zollbeamte ihm seinen Reisepass auch ohne Umstände zurück, nachdem

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