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Engländer möchten sich auf irgendeine Weise am Kriegsgeschehen beteiligen. So stimmte auch Frau Ellison begeistert zu, als man sie bat, die beiden jungen Männer bei sich unterzubringen. Wo sie noch dazu so charmant sind. Ich weiß nicht, wo er es gelernt hat, auf jeden Fall ist Gabčiks Englisch sozusagen fluent . Der wortgewandte Charmeur betreibt mit der entzückten Frau Ellison Konversation. Kubiš ist in der Fremdsprache weniger sattelfest und zurückhaltender, doch er lächelt gutmütig, und seine natürliche Gutherzigkeit entgeht ihrer Gastgeberin nicht. «Sie nehmen doch noch etwas Tee?» Höflich stimmen die beiden Männer zu. Sie sitzen nebeneinander auf einem Sofa. Ganz eindeutig haben sie bereits zu viele Entbehrungen erlitten, um sich eine Gelegenheit entgehen zu lassen, Nahrung zu sich zu nehmen. Sie lassen sich das Gebäck auf der Zunge zergehen – ich habe dabei eine Art Spekulatius vor Augen. Da klingelt es an der Tür. Frau Ellison erhebt sich, um zu öffnen, doch da hören sie schon, wie die Tür aufgeschlossen wird. Zwei junge Frauen betreten das Zimmer. « Come in, darlings , kommt her, damit ich euch vorstellen kann!» Jetzt erheben sich auch Gabčik und Kubiš. «Lorna, Edna, das sind Joseph and Yann , sie werden für eine Weile hier wohnen.» Lächelnd treten die beiden Mädchen näher. «Meine Herren, darf ich Ihnen meine beiden großen Mädchen vorstellen?» In jenem Moment dürften sich die beiden Soldaten gesagt haben, dass es selbst in dieser elenden Welt ab und zu noch ein Fünkchen Gerechtigkeit gibt.
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«Meine Mission besteht im Wesentlichen darin, gemeinsam mit einem weiteren Mitglied der tschechoslowakischen Armee in mein Geburtsland zurückzukehren, um einen Sabotageakt oder einen terroristischen Anschlag durchzuführen – an einem Ort und unter Bedingungen, die von den Umständen abhängen, die wir vor Ort antreffen. Ich werde alles in meiner Macht Stehende unternehmen, um das erwünschte Ergebnis zu erzielen, nicht nur in meinem Heimatland, sondern auch andernorts. Ich werde mit vollem Einsatz, mit ganzer Seele und vollem Pflichtbewusstsein an diese Mission herangehen, um sie erfolgreich durchzuführen. Dafür habe ich mich freiwillig zur Verfügung gestellt.»
Am 1. Dezember 1941 unterzeichnen Gabčik und Kubiš dieses Dokument, das einem Standardschreiben ähnelt. Ich frage mich, ob es für alle Fallschirmspringer aller in Großbritannien stationierten Armeen Gültigkeit besaß.
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Albert Speer, Hitlers Architekt und Rüstungsexperte, dürfte ganz nach Heydrichs Geschmack gewesen sein. Als feinsinniger, eleganter und intelligenter Frauenverführer steht er, was sein kulturelles Niveau betrifft, in deutlichem Kontrast zu den anderen Nazigrößen. Er ist weder ein Hühnerzüchter wie Himmler noch ein wirklichkeitsfremder Schwärmer wie Rosenberg, noch ein ungeschlachtes Schwein wie Göring oder Bormann.
Speer ist auf der Durchreise und besucht Heydrich in Prag. Heydrich macht mit ihm eine Stadtrundfahrt in seinem Wagen. Er zeigt ihm die Oper, auf deren Dach mittlerweile Mendelssohns Statue fehlt. Speer teilt seine Vorliebe für klassische Musik. Dennoch sind sich die beiden Männer nicht ganz grün. Speer, der distinguierte Intellektuelle, sieht Heydrich als Hitlers Handlanger für niedere Arbeiten, als jemanden, dem man die Drecksarbeit überlässt, die er ohne mit der Wimper zu zucken ausführt: ein kultivierter Bluthund. Heydrich wiederum sieht in Speer einen kompetenten Mann, dessen Fähigkeiten er bewundert, der aber nie aus seiner Rolle als versnobter, manikürter Zivilist herauskommen wird. Er wirft ihm das exakte Gegenteil vor: sich die Hände nicht richtig schmutzig zu machen.
Speer wurde von Göring in seiner Funktion als Rüstungsexperte damit beauftragt, Heydrich um 16 000 zusätzliche tschechische Arbeiter für die erfolgreiche Kriegsführung der Deutschen zu bitten. Heydrich setzt alles daran, der Bitte so schnell wie möglich nachzukommen. Er erklärt Speer, dass die Tschechen bereits bezwungen wurden, ganz anders als beispielsweise Frankreich, das von kommunistischen Widerstandskämpfern und Saboteuren heimgesucht wird.
Die unheilvolle Mercedes-Kolonne überquert die Karlsbrücke. Speer bricht angesichts der gotischen und barocken Bauwerke in Entzücken aus. Während die Straßenzüge an ihm vorbeiziehen, gewinnt der Architekt über den Minister die Oberhand. Er malt sich diverse städtische Einrichtungen aus: Das enorme Brachland im Viertel
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