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einzige Frage dazu beantworten, nicht einmal gegenüber ihren ältesten Kameraden, die sie von ihrer Flucht über Polen oder aus ihrer Zeit bei der französischen Armee kennen.
Gabčik und Kubiš diskutieren zweifellos über ihre Mission. Auf dem Spielfeld geben die Tschechoslowaken alles, um den Spielstand aufzuholen. Durch einen Freistoß gelangt Spieler Nummer 10 wieder an den Ball, setzt zum Schuss an, versemmelt ihn aber, weil ihn ein französischer Verteidiger zurückstößt. Der Mittelstürmer lauert im Hinterhalt, kommt von links und knallt einen scharfen Schuss direkt unter die Latte. Der besiegte Torwart wälzt sich im Staub. Die Tschechoslowakei hat aufgeholt, das Stadion bebt. Gabčik und Kubiš schweigen. Ein wenig freuen sie sich sogar. Das Spiel endet unentschieden.
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Am 19. November 1941 findet in der Wenzelskapelle im Herzen des Hradschins oberhalb von Prag eine Zeremonie statt. Feierlich überreicht Präsident Hácha dem neuen Statthalter Heydrich die sieben Schlüssel zur Krönungskammer der böhmischen Könige. In dem Saal, in dem die großen Schlüssel den Besitzer wechseln, wird auch das Allerheiligste der Tschechen aufbewahrt, die Wenzelskrone. Es gibt ein Foto, auf dem Heydrich und Hácha vor der Krone stehen, die auf einem filigran bestickten Kissen ruht. Es heißt, Heydrich habe der Versuchung nicht widerstehen können und sich die Krone aufgesetzt. Eine alte Legende besagt, derjenige, der diese Krone unbefugt aufsetzt, werde binnen Jahresfrist sterben – und sein ältester Sohn ebenfalls.
Tatsächlich fällt mir beim Betrachten des Fotos auf, dass Hácha mit seinem alten kahlköpfigen Eulengesicht das königliche Symbol misstrauisch beäugt, während sich Heydrich verkrampft bemüht, einen respektvollen Gesichtsausdruck an den Tag zu legen. Und ich hege den Verdacht, dass ihn der in seinen Augen folkloristische Glasschmuck nicht gerade vom Hocker reißt. Im Klartext: Ich frage mich, ob ihn die Zeremonie nicht zu Tode langweilt.
Anscheinend konnte niemals mit Sicherheit bestätigt werden, ob Heydrich die Krone bei dieser Gelegenheit tatsächlich aufsetzte oder nicht. Ich glaube, einige wollten gerne an diesen Zwischenfall glauben, um ihn rückblickend als Hybris zu deuten, die nicht ungesühnt bleiben durfte. Ehrlich gesagt, glaube ich nicht, dass sich Heydrich plötzlich wie in einer Wagner-Oper benahm. Den Beweis für meine Theorie sehe ich in der Tatsache, dass er Hácha drei der sieben Schlüssel als vorgebliches Freundschaftszeichen zurückgab, um die Illusion zu erwecken, der deutsche Besatzer sei bereit, bei der Führung des Landes mit der tschechischen Regierung zusammenzuarbeiten. Abgesehen von der Tatsache, dass es sich in diesem Fall um eine symbolische Geste ohne jeglichen Bezug zur Realität handelte, beraubt die Halbherzigkeit der Schlüsselübergabe die Szene jedweder potenziellen Maßlosigkeit. Es handelt sich um nichts anderes als nüchterne Diplomatie und liegt somit auf der Skala der Bedeutungslosigkeit ganz weit unten. Heydrich hat es sicher eilig, die Sache zu Ende zu bringen, um nach Hause zu kommen und mit seinen Kindern zu spielen oder um an der Endlösung weiterzuarbeiten.
Und doch … wenn man es aus nächster Nähe betrachtet, sieht man, dass Heydrichs rechte Hand auf dem Foto teilweise von dem Kissen verdeckt wird, auf dem die Krone liegt. Heydrich hat einen Handschuh abgestreift, seine rechte Hand ist unbekleidet, während die linke nach wie vor im Handschuh steckt. Die rechte Hand bewegt sich auf etwas zu. Vor der Krone liegt ein Zepter, das zur Hälfte hinter dem Kissen herausragt. Selbst wenn das Kissen verdeckt, was hier gespielt wird, meint man erahnen zu können, gibt es schlagkräftige Gründe anzunehmen, dass die Hand das Zepter berührt oder berühren wird. Dieses neue Element lässt mich Heydrichs Gesichtsausdruck neu interpretieren. Genauso gut kann man darin mühsam unterdrückte Gier erkennen. Ich glaube nicht, dass er die Krone aufsetzte, schließlich sind wir nicht in einem Charlie-Chaplin-Film, aber genauso sicher bin ich, dass er das Zepter ergriff und es mit der Hand abwog, während er einen möglichst unauffälligen Gesichtsausdruck beibehielt. Diese Geste ist deutlich weniger demonstrativ, aber dennoch symbolträchtig, und so pragmatisch Heydrich auch war, gelüstete es ihn dennoch nach Symbolen der Macht.
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Jozef Gabčik und Jan Kubiš tunken Kekse in den Tee, den ihre Vermieterin Frau Ellison für sie zubereitet hat. Alle
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